Washington Square
scharf umrissen zum Ausdruck gebracht, erhielt für einen Moment im vorübergehend beruhigten Gewissen des armen Mädchens wieder all ihre schreckliche Heftigkeit. »Oh, du mußt mich sehr lieben!« rief es aus.
»Daran gibt es keinen Zweifel, meine Liebe«, erwiderte ihr Liebhaber. »Du magst das Wort ›enterbt‹ nicht«, setzte er sogleich hinzu.
»Es geht nicht ums Geld; es geht darum, daß er – daß er so empfindet.«
»Ich habe den Eindruck, es kommt dir wie eine Art Fluch vor?« meinte Morris. »Es muß sehr bedrückend sein. Aber glaubst du nicht«, fuhr er sogleich fort, »wenn du versuchen würdest, sehr geschickt zu sein und es richtig anzufangen, daß du ihn dann schließlich bannen |163| könntest? Glaubst du nicht«, fuhr er in einem Ton mitfühlenden Nachdenkens fort, »daß eine wirklich kluge Frau an deiner Stelle deinen Vater letzten Endes umstimmen könnte? Glaubst du nicht –«
Hier wurde Morris plötzlich unterbrochen; diese geschickten Fragen hatten Catherines Ohren gar nicht erreicht. Das schreckliche Wort Enterbung mit all der eindrucksstarken moralischen Verdammung, die in ihm mitschwang, hallte in ihnen noch nach – und schien in der Tat, je länger es haften blieb, noch an Wucht zuzunehmen. Die entsetzliche Hoffnungslosigkeit ihrer Lage drang tiefer in ihr Herz ein, und sie wurde von einem Gefühl der Verlassenheit und drohender Gefahr überwältigt. Aber ihre Zuflucht war da, dicht bei ihr, und sie streckte ihre Hände aus, um sie zu ergreifen. »Ach, Morris«, sagte sie erschauernd, »ich will dich heiraten, sobald du es möchtest!« und sie ergab sich, indem sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte.
»Mein liebes, gutes Mädchen!« rief er aus und sah auf seine Beute hinab. Dann blickte er wieder auf, ziemlich unbestimmt, mit leicht geöffneten Lippen und erhobenen Augenbrauen.
|164| 21. KAPITEL
Dr. Sloper teilte seine Überzeugung alsbald Mrs. Almond in denselben Worten mit, in denen er sie für sich selbst formuliert hatte. »Sie wird hängenbleiben, zum Donnerwetter! Sie wird hängenbleiben.«
»Meinst du, sie hat vor, ihn zu heiraten?« fragte Mrs. Almond.
»Das weiß ich nicht, aber nachgeben wird sie nicht. Sie hat vor, die Verlobung in die Länge zu ziehen, in der Hoffnung mich zum Nachgeben zu bringen.«
»Und gibst du nicht nach?«
»Gibt denn ein geometrischer Lehrsatz nach? Ich bin nicht so oberflächlich.«
»Befaßt sich die Geometrie nicht mit Oberflächen?« fragte lächelnd Mrs. Almond, die, wie wir wissen, klug war.
»Ja, aber sie befaßt sich tiefgründig mit ihnen. Catherine und ihr junger Mann sind meine Oberflächen; ich habe ihr Maß festgestellt.«
»Du sprichst so, als hätte dich das Ergebnis überrascht.«
»Es ist gewaltig; da wird es eine Menge zu beobachten geben.«
»Du bist erschreckend kaltblütig!« sagte Mrs. Almond.
»Das muß ich wohl sein, bei all dem heißen Blut um mich her. Der junge Townsend allerdings ist kühl; diesen Vorzug muß ich ihm zugestehen.«
»Ich kann ihn nicht beurteilen«, erwiderte Mrs. Almond, » |165| aber über Catherine bin ich überhaupt nicht verwundert.«
»Ich muß gestehen, ich bin es ein wenig; sie muß so verteufelt hin und her gerissen und gequält worden sein.«
»Gib zu, daß es dich amüsiert. Ich sehe nicht ein, warum es so ein Spaß sein soll, daß deine Tochter dich so verehrt.«
»Den Punkt festzustellen, an dem die Verehrung aufhört, das finde ich interessant.«
»Sie hört da auf, wo das andere Gefühl beginnt.«
»Ganz und gar nicht; das wäre allzu einfach. Die zwei Dinge sind aufs äußerste miteinander vermischt, und die Mischung ist höchst sonderbar. Sie wird irgendein drittes Element hervorbringen, und darauf warte ich nun. Ich warte voll Spannung – genau genommen mit Erregung, und nie hätte ich erwartet, daß mir Catherine die Gelegenheit zu einer Gefühlserregung solcher Art bieten würde. Ich bin ihr wahrhaftig sehr zu Dank verpflichtet.«
»Sie wird an ihm festhalten«, sagte Mrs. Almond. »Sie wird gewiß an ihm festhalten.«
»Ja, wie ich gesagt habe, sie wird hängenbleiben.«
»Festhalten klingt netter, das tun so ganz einfache Naturen immer, und nichts könnte einfacher geartet sein als Catherine. Sie nimmt nicht viele Eindrücke auf; aber wenn sie einen aufnimmt, hält sie ihn bei sich fest. Sie ist wie ein Kupferkessel, der eine Beule bekommt: man kann zwar den Kessel aufpolieren, aber die Spur des Einschlags ist nicht mehr zu tilgen.«
»Wir müssen
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