Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
Vom Netzwerk:
»Aber Sie machen Ihren Bruder ja zu einem regelrechten Türken.«
    Mrs. Penniman zögerte ein wenig.
    »Ich halte Austin gewiß nicht für einen strenggläubigen Christen.«
    »Und soll ich warten, bis er bekehrt ist?«
    »Warten Sie auf jeden Fall, bis er weniger heftig ist. Warten Sie Ihre Zeit ab, Mr. Townsend; bedenken Sie, der Lohn ist beträchtlich.«
    Morris spazierte einige Zeit schweigend weiter und |169| schlug dabei äußerst heftig mit seinem Stock gegen Geländer und Torpfosten.
    »Sie sind aber verdammt inkonsequent!« brach es schließlich aus ihm heraus. »Ich habe Catherine bereits dazu gebracht, einer heimlichen Heirat zuzustimmen.«
    Mrs. Penniman war in der Tat inkonsequent; denn bei dieser Nachricht fuhr sie vor Genugtuung ein wenig auf.
    »Oh, wann und wo denn?« rief sie und blieb dann plötzlich stehen.
    Morris war sich darüber etwas im unklaren.
    »Das steht noch nicht fest; aber sie ist einverstanden. Es ist verdammt unangenehm, jetzt einen Rückzieher zu machen.«
    Mrs. Penniman blieb, wie gesagt, plötzlich stehen; und so stand sie da, die Augen strahlend auf ihren Begleiter geheftet.
    »Mr. Townsend«, nahm sie wieder das Wort, »soll ich Ihnen etwas sagen? Catherine liebt Sie so sehr, daß Sie alles tun können.«
    Diese Erklärung war ein wenig doppelsinnig, und Morris machte große Augen.
    »Ich bin glücklich, das zu hören. Aber was meinen Sie mit ›alles‹?«
    »Sie können aufschieben – Sie können umplanen; sie wird deswegen nicht schlechter von Ihnen denken.«
    Morris stand immer noch mit erhobenen Augenbrauen da. Dann sagte er ganz einfach und ziemlich trocken: »Aha!« Danach wies er Mrs. Penniman darauf hin, wenn sie so langsam gehe, werde sie Aufmerksamkeit erregen, und es glückte ihm, sie schleunigst in ihr Domizil zurückzubringen, auf das ihr Anspruch so unsicher geworden war.

|170| 22. KAPITEL
    Morris hatte die Sache ein wenig unrichtig dargestellt, wenn er sagte, Catherine habe zugestimmt, das große Wagnis zu unternehmen. Wir haben sie gerade verlassen, als sie erklärte, sie werde alle Brücken hinter sich abbrechen; doch nachdem ihr Morris diese Erklärung entlockt hatte, waren ihm gute Gründe dafür bewußt geworden, sie nicht in Anspruch zu nehmen. Er vermied es geschickt genug, einen Tag festzusetzen, obgleich er bei ihr den Eindruck hinterließ, daß er einen im Auge hatte. Catherine mochte ihre Schwierigkeiten gehabt haben; doch diejenigen ihres umsichtigen Freiers waren ebenfalls der Überlegung wert. Gewiß ging es um einen hohen Preis; doch er war nur zu erringen, wenn man den goldenen Mittelweg zwischen Überstürzung und Bedachtsamkeit traf. Es wäre wohl schön und gut, den Sprung zu wagen und der Vorsehung zu vertrauen; die Vorsehung war mit Vorliebe mehr auf der Seite der gewieften Leute und gewiefte Leute waren für ihre Abneigung bekannt, ihre Knochen zu riskieren.
    Die in weiter Ferne winkende hohe Entschädigung für eine Verbindung mit einer jungen Frau, die sowohl unattraktiv als auch verarmt war, sollte mit den unmittelbar folgenden Nachteilen durch eine höchst fühlbare Kette verbunden sein. Zwischen der Befürchtung, Catherine und das ihr möglicherweise zufallende Vermögen gänzlich zu verlieren, und der Befürchtung, sie voreilig zur Frau zu nehmen und dann feststellen zu müssen, daß |171| dieses eventuelle Vermögen so wenig real wäre wie eine Ansammlung leerer Flaschen, war die Wahl für Morris Townsend nicht angenehm – eine Tatsache, an die Leser denken sollten, die dazu neigen, einen jungen Mann hart zu verurteilen, von dem sie womöglich den Eindruck haben, als mache er nur einen leidlich erfolgreichen Gebrauch von seinen ausgezeichneten angeborenen Fähigkeiten. Er hatte keineswegs vergessen, daß Catherine auf jeden Fall ihre eigenen Zehntausend im Jahr hatte. Diesem Umstand hatte er eine Fülle von Überlegungen gewidmet. Doch er bewertete sich mit seinen ausgezeichneten Fähigkeiten selbst hoch, und er hatte eine vollkommen klare Einschätzung seines Wertes, der seiner Ansicht nach durch die erwähnte Summe keinen angemessenen Ausdruck fand. Gleichzeitig aber bedachte er, daß diese Summe immerhin beachtlich sei, daß alles relativ ist, und wenn auch ein bescheidenes Einkommen weniger wünschenswert ist als ein umfangreiches, so werde doch der völlige Mangel an Einkünften nirgends als Vorteil erachtet.
    Diese Überlegungen beschäftigten ihn beträchtlich und machten es notwendig, daß er seine Taktik überdachte. Dr.

Weitere Kostenlose Bücher