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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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nicht so, wie ich dich liebe. Wenn du deinen Vater mehr fürchtest, als du mich liebst, dann ist deine Liebe nicht das, was ich von ihr erhofft habe.«
    »Ach, mein Freund!« sagte sie und ging auf ihn zu.
    »Fürchte
ich
denn etwas?« fragte er und drehte sich zu ihr um. »Wozu wäre ich deinetwegen nicht alles bereit?«
    »Du bist hochherzig – du bist unerschrocken!« antwortete |160| sie und blieb in einem kleinen, fast ehrerbietigen Abstand vor ihm stehen.
    »Das hilft mir wenig, wenn du so ängstlich bist.«
    »Ich glaube nicht, daß ich das bin –
wirklich
bin«, sagte Catherine.
    »Ich weiß nicht, was du mit ›wirklich‹ meinst. Es ist wirklich genug, um uns unglücklich zu machen.«
    »Ich wäre stark genug, um zu warten – eine lange Zeit zu warten.«
    »Und angenommen, nach langer Zeit würde mich dein Vater noch ärger denn je hassen?«
    »Das täte er nicht – das könnte er nicht.«
    »Er würde gerührt durch meine Treue; meinst du das? Wenn er so leicht zu rühren ist, warum müßtest du ihn dann fürchten?«
    Das traf genau den Kern der Sache, und Catherine war sehr beeindruckt davon. »Ich will versuchen, es nicht zu tun«, sagte sie. Und sie stand unterwürfig da, im voraus der Inbegriff einer pflichtschuldigen und verantwortungsbewußten Ehefrau. Dieses Bild konnte nicht verfehlen, Morris Townsend zu beeindrucken, und so gab er aufs neue einen Beweis der hohen Achtung, die er für sie hegte. Nur durch den Impuls eines solchen Gefühls war es wohl möglich, daß er ihr unverzüglich sagte, das von Mrs. Penniman empfohlene Vorgehen sei eine augenblickliche Vereinigung, ohne Rücksicht auf die Folgen.
    »Ja, Tante Penniman hätte das gern«, sagte Catherine ganz einfach und doch mit einem gewissen Scharfsinn. Aus purer Einfalt jedoch und aus Beweggründen, die fern von Sarkasmus lagen, fügte sie jedoch wenige Augenblicke später die Mitteilung für Morris an, ihr Vater habe ihr eine Botschaft an ihn aufgetragen. Diese Botschaft zu übermitteln bedeutete ihr eine Gewissenssache, und wäre |161| dieser Auftrag auch zehnmal unangenehmer gewesen, sie hätte ihn gewissenhaft ausgeführt. »Er sagte mir, ich solle dir ausrichten – dir ganz unmißverständlich ausrichten, und unmittelbar von ihm –, daß ich auch nicht einen roten Heller von seinem Vermögen erbe, wenn ich ohne seine Zustimmung heirate. Er maß dem große Bedeutung bei. Er schien zu glauben – er schien zu glauben –«
    Morris bekam einen roten Kopf, wie jeder junge Mann mit wahrer Absicht bei einer Unterstellung niedriger Gesinnung rot geworden wäre. »Was schien er zu glauben?«
    »Daß es einen Unterschied machen würde.«
    »Es
wird
auch einen Unterschied machen – in vielerlei Hinsicht. Wir werden um viele tausend Dollar ärmer sein; und das ist ein großer Unterschied. Aber es beeinträchtigt meine Zuneigung nicht.«
    »Wir werden das Geld nicht brauchen«, sagte Catherine, »du weißt ja, daß ich selbst eine ganze Menge habe.«
    »Ja, mein liebes Mädchen, ich weiß, du hast einiges. Und das kann er nicht anrühren.«
    »Das würde er nie«, sagte Catherine. »Meine Mutter hat es mir hinterlassen.«
    Morris schwieg eine Weile. »Er war sich dieser Sache ganz sicher, nicht wahr?« fragte er schließlich. »Er dachte, eine solche Nachricht würde mir schrecklichen Verdruß bereiten und mich dazu bringen, die Maske fallenzulassen, was?«
    »Ich weiß nicht, was er dachte«, sagte Catherine bekümmert.
    »Sag’ ihm bitte, daß mich seine Botschaft nicht so viel kümmert!« und Morris schnippte vernehmlich mit den Fingern.
    |162| »Ich glaube nicht, daß ich ihm das sagen könnte.«
    »Weißt du, daß du mich manchmal enttäuschst«, sagte Morris.
    »Das könnte ich mir schon vorstellen. Ich enttäusche jeden – Vater und Tante Penniman.«
    »Nun, bei mir macht das nichts, weil ich dich lieber habe als sie.«
    »Ja, Morris«, sagte das Mädchen, dessen Phantasie – soviel es davon hatte – in dieser beglückenden Wirklichkeit schwamm, die ja schließlich für niemanden ärgerniserregend sein konnte.
    »Bist du davon überzeugt, daß er, daß er daran festhalten wird – für immer festhalten wird – an diesem Plan, dich zu enterben, daß deine Güte und Geduld niemals diese Unmenschlichkeit überwinden wird?«
    »Das Problem ist, wenn ich dich heirate, denkt er, ich sei nicht gut. Er hält das für einen Beweis dafür.«
    »Ach, dann wird er dir niemals verzeihen!«
    Diese Vorstellung, von Morris’ hübschen Lippen

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