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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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sagen?«
    »Er hat mich alles Mögliche zu sagen gebeten – alles so feinfühlig und umsichtig; und er hat mich auch gebeten, dir zu sagen, er hoffe, du werdest ihn nicht verachten.«
    »Das tue ich nicht«, sagte Catherine und setzte dann hinzu: »Und bleibt er denn auf ewig weg?«
    »Oh, ewig ist eine lange Zeit. Dein Vater wird ja vielleicht nicht ewig leben.«
    »Vielleicht nicht.«
    »Ich bin überzeugt, du begreifst – du verstehst – selbst wenn dir das Herz blutet«, sagte Mrs. Penniman. »Du hältst ihn zweifellos für übergewissenhaft. Der Ansicht bin ich auch, aber ich respektiere seine Bedenken. Worum er dich bittet, ist, daß du dasselbe tust.«
    Catherine starrte immer noch ihre Tante an, aber als hätte sie ihre Worte gar nicht gehört oder nicht verstanden, sagte sie schließlich: »Das war also dann ein regelrechter Plan. Er hat vorsätzlich gebrochen; er hat mich aufgegeben.«
    »Vorläufig, liebe Catherine; er hat es lediglich aufgeschoben.«
    »Er hat mich verlassen«, fuhr Catherine fort.
    »Hast du denn nicht
mich
?« fragte Mrs. Penniman nachdrücklich.
    Catherine schüttelte langsam den Kopf. »Das glaube ich nicht!« Und sie verließ das Zimmer.

|247| 31. KAPITEL
    Auch wenn sie sich gezwungen hatte, ruhig zu sein, zog sie es doch vor, diese wertvolle Eigenschaft in der Zurückgezogenheit zu üben, und sie vermied es, sich beim Tee zu zeigen – eine Mahlzeit, die an Sonntagen um sechs Uhr die Stelle des Abendessens einnahm. Dr. Sloper und seine Schwester saßen einander gegenüber, aber Mrs. Penniman wich dem Blick ihres Bruders aus. Am späten Abend ging sie mit ihm, doch ohne Catherine, zu ihrer Schwester Almond, wo die beiden Damen Catherines unglückliche Lage mit einer Freimütigkeit besprachen, die auf Seiten Mrs. Pennimans durch allerhand geheimnisvolle Zurückhaltung bestimmt wurde.
    »Ich bin heilfroh, daß er sie nicht heiraten wird«, sagte Mrs. Almond, »aber trotzdem müßte er ausgepeitscht werden.«
    Mrs. Penniman, die an der Roheit ihrer Schwester Anstoß nahm, entgegnete, daß ihn der edelste aller Beweggründe dazu gebracht habe – der Wunsch, Catherine nicht arm zu machen.
    »Ich bin überglücklich, daß Catherine nicht verarmt – aber ich hoffe, daß er nie einen Pfennig zuviel haben wird! Und was sagt denn
dir
das arme Mädchen?« fragte Mrs. Almond.
    »Catherine sagt, ich habe eine hervorragende Fähigkeit, zu trösten«, erwiderte Mrs. Penniman.
    So stellte sie ihrer Schwester die Angelegenheit dar, und vielleicht war ihre hervorragende Fähigkeit der Anlaß |248| dafür, daß sie sich noch am gleichen Abend nach ihrer Rückkehr an den Washington Square zu Catherines Tür begab und um Zutritt bat. Catherine kam und öffnete; offensichtlich war sie ganz ruhig.
    »Ich möchte dir nur einen kleinen Rat geben«, sagte sie. »Wenn dich dein Vater fragt, dann sag’ ihm, daß alles wie bisher ist.«
    Catherine stand mit der Hand auf der Türklinke da und sah ihre Tante an, forderte sie aber nicht auf hereinzukommen. »Glaubst du, daß er mich fragt?«
    »Davon bin ich überzeugt. Er hat mich eben erst gefragt, auf dem Rückweg von deiner Tante Elizabeth. Ihr habe ich die ganze Angelegenheit erklärt. Deinem Vater habe ich gesagt, daß ich nichts darüber wisse.«
    »Glaubst du, er wird mich fragen, wenn er sieht – wenn er sieht –?« Aber hier stockte Catherine.
    »Je mehr er sieht, desto unangenehmer wird er sein«, sagte ihre Tante.
    »Er soll so wenig wie möglich sehen!« erklärte Catherine.
    »Sag’ ihm, daß du bald heiraten wirst.«
    »Das werde ich auch«, sagte Catherine leise; und sie schloß die Tür vor ihrer Tante.
    Das hätte sie zwei Tage später nicht mehr sagen können – zum Beispiel am Dienstag, als sie endlich einen Brief von Morris erhielt. Es war eine Epistel von beträchtlicher Länge, die fünf große quadratische Seiten umfaßte und in Philadelphia geschrieben war. Sie stellte ein Schriftstück dar, das Erläuterungen enthielt, und es erklärte eine ganze Menge, darunter vor allem die Überlegungen, die den Verfasser dazu gebracht hatten, die Gelegenheit einer dringenden »beruflichen« Abwesenheit für den Versuch zu nutzen, aus seiner Erinnerung das Bild |249| eines Menschen zu verbannen, dessen Lebensweg er lediglich gekreuzt hatte, um ihn mit Trümmern zu bestreuen. Von diesem Versuch wage er nur einen teilweisen Erfolg zu erwarten, aber er könne ihr versprechen, daß er nie mehr – welchen Mißerfolg er auch haben mochte –

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