Washington Square
Liebe Catherine, du kannst dich mir anvertrauen.«
»Was soll ich dir denn anvertrauen?«
»Dein Geheimnis – deinen Kummer.«
»Ich habe keinen Kummer!« sagte Catherine ungestüm.
»Mein armes Kind«, beharrte Mrs. Penniman, »du kannst mich nicht täuschen. Ich weiß alles. Ich bin gebeten worden – äh – mich mit dir zu unterhalten.«
»Ich habe nicht das Bedürfnis, mich zu unterhalten!«
|241| »Ich will es dir leichter machen. Kennst du nicht den Shakespeare-Vers ›Der Gram, der nicht spricht‹? Mein liebes Mädchen, es ist ohnehin besser!«
»Was ist besser?« fragte Catherine.
Sie war wirklich allzu verstockt. Ein gewisses Maß an Verstocktheit mußte einer jungen Dame zugebilligt werden, deren Liebhaber sie sitzengelassen hat: aber nicht soviel, daß es sich für seine Verteidiger als mühevoll erwies. »Daß du vernünftig bist«, sagte Mrs. Penniman mit strengem Ernst, »daß du dem Rat der Weltklugheit folgst und dich praktischen Gesichtspunkten fügst; daß du deine Zustimmung gibst zu einer – äh – Trennung.«
Catherine war bis zu diesem Moment eisig gewesen, doch bei diesem Wort flammte sie auf. »Trennung? Was weißt du von unserer Trennung?«
Mrs. Penniman schüttelte den Kopf mit einer Betrübtheit, in der beinahe eine Empfindung von Gekränktheit lag. »Dein Stolz ist mein Stolz, und deine Empfindlichkeit ist auch meine. Ich sehe deinen Standpunkt völlig ein, aber« – und sie lächelte wehmütig vielsagend – »aber ich sehe auch die Situation als Ganzes!«
Dieses Vielsagende hatte keine Wirkung auf Catherine, die ihre heftige Frage wiederholte. »Warum sprichst du von Trennung; was weißt du darüber?«
»Wir müssen Ergebenheit lernen«, sagte Mrs. Penniman zögernd, indes sie auf gut Glück eine Sentenz zu Hilfe nahm.
»Ergebenheit in was?«
»In eine Abänderung unserer Pläne.«
»Meine Pläne haben sich nicht geändert!« sagte Catherine mit einem flüchtigen Auflachen.
»Ah, aber die von Mr. Townsend«, entgegnete ihre Tante äußerst sacht.
|242| »Was meinst du damit?«
Im Ton dieser Erkundigung lag eine gebieterische Knappheit, gegen die sich Mrs. Penniman verwahren zu müssen meinte; schließlich war es eine Gefälligkeit, daß sie es auf sich genommen hatte, ihrer Nichte diese Auskunft zu gewähren. Sie hatte es mit Schärfe versucht und mit Strenge; aber keines von beiden brachte etwas zuwege; sie war aufgebracht über den Starrsinn des Mädchens. »Also«, sagte sie, »wenn er es dir nicht gesagt hat!« und sie schickte sich an wegzugehen.
Catherine beobachtete sie einen Moment schweigend; dann eilte sie ihr nach und hielt sie auf, bevor sie die Tür erreichte. »Was soll er mir nicht gesagt haben? Was meinst du denn? Was deutest du da an und womit drohst du mir?«
»Ist sie denn nicht aufgelöst?« fragte Mrs. Penniman.
»Meine Verlobung? Nicht im geringsten!«
»In diesem Fall bitte ich um Verzeihung. Ich habe wohl zu früh gesprochen!«
»Zu früh? Ob früh oder spät«, stieß Catherine hervor, »du redest töricht und grausam!«
»Was ist denn dann zwischen euch vorgefallen?« fragte die Tante, von der Aufrichtigkeit dieses Ausrufs betroffen, »denn irgend etwas ist doch sicher vorgefallen.«
»Nichts ist vorgefallen, außer daß ich ihn immer noch mehr liebe!«
Mrs. Penniman schwieg einen Augenblick. »Das war wohl der Grund, warum du ihn heute nachmittag aufgesucht hast.«
Catherine stieg das Blut ins Gesicht, als hätte man sie geschlagen. »Ja, ich bin hingegangen, um ihn aufzusuchen! Aber das ist meine Angelegenheit.«
»Also, gut; reden wir nicht mehr darüber.« Und |243| Mrs. Penniman wandte sich erneut der Tür zu; doch durch einen unvermittelten, flehentlichen Ausruf des Mädchens wurde sie zurückgehalten.
»Tante Lavinia,
wohin
ist er gegangen?«
»Ach, dann gibst du also zu, daß er fort ist! Hat man denn das bei ihm zu Hause nicht gewußt?«
»Man sagte mir, er habe die Stadt verlassen. Ich habe nicht weiter nachgefragt: Ich habe mich geschämt«, sagte Catherine ganz einfach.
»Du hättest keinen so kompromittierenden Schritt unternehmen müssen, wenn du etwas mehr Vertrauen zu mir gehabt hättest«, stellte Mrs. Penniman mit entsprechender Erhabenheit fest.
»Ist er in New Orleans?« fuhr Catherine unbeirrbar fort.
Es war das erste Mal, daß Mrs. Penniman in diesem Zusammenhang etwas von New Orleans hörte; aber sie wollte Catherine nicht merken lassen, daß sie im dunkeln tappte. Sie versuchte, aus den Richtlinien,
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