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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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die sie von Morris erhalten hatte, etwas Erhellendes herauszuholen. »Meine liebe Catherine«, sagte sie, »wenn man sich einmal auf eine Trennung geeinigt hat, dann ist es um so besser, je weiter er weggeht.«
    »Geeinigt? Hat er sich denn mit dir darüber geeinigt?« Während der letzten fünf Minuten war ihr die aufdringliche Torheit ihrer Tante in vollem Umfang klargeworden, und ihr wurde ganz übel bei dem Gedanken, daß Mrs. Penniman gewissermaßen auf ihr Glück losgelassen worden war.
    »Sicher, er hat sich hin und wieder mit mir beraten«, sagte Mrs. Penniman.
    »Bist dann du es, durch die er so verändert und so widernatürlich geworden ist?« rief Catherine. »Bist du |244| es, die ihn bearbeitet und mir weggenommen hat? Er gehört dir nicht, und ich sehe nicht ein, wieso du irgend etwas zu tun hast mit dem, was zwischen uns ist? Hast du denn diese Verschwörung ersonnen und ihm gesagt, daß er mich verlassen soll? Wie konntest du nur so boshaft, so unmenschlich sein? Was habe ich dir denn getan? Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Ich habe doch gleich befürchtet, daß du alles verderben würdest; denn du verdirbst einfach alles, mit dem du dich befaßt! Die ganze Zeit über, in der wir im Ausland waren, habe ich Befürchtungen wegen dir gehabt; meine Ruhe war dahin, wenn ich daran dachte, daß du fortwährend mit ihm schwätzt.« Catherine fuhr mit wachsender Leidenschaft fort, in ihrer Verbitterung und in der tiefen Einsicht ihrer Leidenschaft (die sie ihre Tante unvermittelt, alle Instanzen eines Prozesses überspringend, endgültig und ohne Möglichkeit einer Berufung verurteilen ließ) den ganzen Unmut, der ihr so viele Monate lang auf dem Herzen gelegen hatte, aus sich herauszulassen.
    Mrs. Penniman war erschrocken und verlegen; sie fand keine Möglichkeit, ihre kleine Darlegung über die Lauterkeit von Morris’ Motiven anzubringen. »Du bist ein höchst undankbares Mädchen!« rief sie. »Schiltst du mich denn aus, weil ich mit ihm gesprochen habe? Wir haben mit Sicherheit niemals von etwas anderem als von dir gesprochen!«
    »Ja; und gerade dadurch hast du ihn zur Verzweiflung gebracht; du hast erreicht, daß schon mein bloßer Name bei ihm Überdruß hervorrief! Ich wollte, du hättest nie mit ihm über mich gesprochen; ich habe dich nie um deine Hilfe gebeten!«
    »Ich bin überzeugt, wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er niemals dieses Haus betreten, und du hättest nie |245| erfahren, daß er an dich dachte«, entgegnete Mrs. Penniman sehr zu Recht.
    »Ich wollte, er hätte dieses Haus niemals betreten, und ich hätte nie davon erfahren! Das wäre besser als das jetzt«, sagte die arme Catherine.
    »Du bist ein höchst undankbares Mädchen«, erklärte Tante Lavinia noch einmal.
    Catherines Zornausbruch und ihre Empfindung erlittenen Unrechts gaben ihr, solange sie andauerten, die Genugtuung, die von jedem Bewußtsein von Kraft ausgeht; sie trieben sie voran, und kraftvoll die Luft zu zerteilen, ist immer ein Genuß. Doch im Grunde genommen verabscheute sie es, heftig zu sein, und sie war sich bewußt, daß sie keine Neigung zu planmäßig vorgebrachtem Groll hatte. Sie beruhigte sich mit großer Mühe, doch sehr schnell, und ging eine kleine Weile im Zimmer hin und her, wobei sie versuchte, sich vorzusagen, daß ihre Tante in allem stets das Beste gewollt habe. Es glückte ihr nicht, sich das sehr überzeugend vorzusagen, aber bald darauf war sie in der Lage, hinreichend ruhig zu sprechen.
    »Ich bin nicht undankbar, aber ich bin sehr unglücklich. Es ist sehr schwer, für das hier dankbar zu sein«, sagte sie. »Kannst du mir bitte sagen, wo er ist?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung; ich bin nicht in einem heimlichen Briefwechsel mit ihm!« Dabei wünschte sich Mrs. Penniman in der Tat, sie wäre es, damit sie ihm berichten könnte, wie Catherine sie kränkte, nach all dem, was sie getan hatte.
    »War es dann ein Vorhaben von ihm, abzubrechen –?«
    Catherine war unterdessen vollständig ruhig geworden.
    Mrs. Penniman begann, wieder den Schimmer einer Gelegenheit zu sichten, ihre Erklärungen vorzubringen. |246| »Er ist zurückgeschreckt – er ist zurückgeschreckt«, sagte sie. »Es fehlte ihm an Mut; aber an dem Mut, dir zu schaden! Er konnte es nicht über sich bringen, dir den Fluch deines Vaters zuzuziehen.«
    Catherine hörte ihrer Tante zu, während sie ihre Augen auf sie heftete und sie noch eine Weile starr im Blick behielt. »Hat er dich gebeten, mir das zu

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