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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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seine Zurückweisung auf?«
    »Ich weiß nicht!« sagte Catherine, weniger einfallsreich, als sie bisher gesprochen hatte.
    |252| »Du meinst damit, daß es dir gleichgültig ist? Du bist reichlich grausam, nachdem du ihn so lange ermuntert und mit ihm gespielt hast!«
    Der Doktor hatte schließlich doch noch seine Rache nehmen können.

|253| 32. KAPITEL
    Unsere Geschichte hat sich bisher mit sehr kleinen Schritten fortbewegt, doch da sie sich ihrem Ende nähert, muß sie nun einen großen Schritt tun. Im Lauf der Zeit mochte der Doktor den Eindruck gewinnen, daß der Bericht seiner Tochter über den Abbruch ihrer Beziehungen zu Morris Townsend, den er lediglich als herausfordernden Trotz angesehen hatte, durch die Folgeerscheinungen bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt wurde. Morris blieb so unzweifelhaft und andauernd fort, als wäre er an gebrochenem Herzen gestorben, und Catherine hatte die Erinnerung an diese ergebnislose Episode anscheinend so tief vergraben, als wäre deren Ende aufgrund ihrer eigenen Wahl erfolgt. Wir wissen, daß sie tief und unheilbar verwundet worden war, aber der Doktor hatte keine Möglichkeit, es zu erfahren. Er war gewiß neugierig und hätte viel darum gegeben, die ganze Wahrheit herauszubekommen; aber es war seine Strafe, daß er sie niemals erfuhr – seine Strafe, meine ich, für den unangebrachten Sarkasmus im Umgang mit seiner Tochter. Es lag allerhand Sarkasmus darin, daß sie ihn im dunkeln ließ, und die übrige Welt verschwor sich mit ihr, in diesem Sinn sarkastisch zu sein. Mrs. Penniman erzählte ihm nichts, teils, weil er sie nie fragte – er nahm sie dafür nicht ernst genug – und teils, weil sie sich einbildete, folternde Zurückhaltung und eine gelassene Versicherung von Unwissenheit könnte ihre Rache sein für seine Annahme, sie habe sich in die Angelegenheit |254| eingemischt. Er suchte zwei- oder dreimal Mrs. Montgomery auf, aber Mrs. Montgomery hatte nichts mitzuteilen. Sie wußte lediglich, daß die Verlobung ihres Bruders gelöst sei; und jetzt, nachdem Miss Sloper außer Gefahr war, zog sie es vor, in keiner Weise gegen Morris Zeugnis abzulegen. Früher hatte sie das getan – wenn auch widerwillig –, da ihr Miss Sloper leid tat; jetzt aber tat ihr Miss Sloper nicht mehr leid – überhaupt nicht mehr. Morris hatte ihr seinerzeit nichts von seinen Beziehungen zu Miss Sloper erzählt und auch seither nicht. Er war ständig unterwegs und schrieb ihr nur sehr selten; sie glaubte, er sei nach Kalifornien gereist. Mrs. Almond hatte sich seit der jüngsten Katastrophe – nach einer Wendung ihrer Schwester – ungestüm Catherines angenommen; aber obgleich ihr das Mädchen für ihre Güte sehr dankbar war, enthüllte es ihr keine Geheimnisse, und die gute Frau konnte den Doktor nicht zufriedenstellen. Doch selbst wenn sie in der Lage gewesen wäre, ihm die vertrauliche Geschichte der unglücklichen Liebesaffäre seiner Tochter zu erzählen, so hätte es für sie eine gewisse Genugtuung bedeutet, ihn in Unkenntnis zu lassen; denn Mrs. Almond war zu dieser Zeit nicht in gutem Einverständnis mit ihrem Bruder. Sie war von selbst zu der Vermutung gelangt, Catherine sei grausam sitzengelassen worden – von Mrs. Penniman erfuhr sie nichts, denn Mrs. Penniman hatte nicht gewagt, Mrs. Almond die famose Erklärung von Morris’ Beweggründen aufzutischen, wenngleich diese ihr für Catherine hinreichend erschienen waren – und sie vertrat die Ansicht, ihr Bruder sei allzu gleichgültig gegenüber dem, was das arme Geschöpf zu ertragen gehabt hatte und noch ertragen mußte. Dr. Sloper hatte seine Ansicht darüber, und er änderte seine Ansichten nur selten. Die Ehe wäre schrecklich |255| geworden, und Catherine war ihr glücklicherweise entkommen. Dafür brauchte sie kein Mitleid, und ihr gegenüber so etwas wie Beileid vorzugeben, hätte bedeutet, daß man der Annahme entgegenkam, sie habe jemals ein Recht gehabt, Morris in Betracht zu ziehen.
    »Ich vertrat von Anfang an diese Ansicht, und ich bleibe auch jetzt dabei«, sprach der Doktor. »Ich sehe nichts Unmenschliches darin; man kann gar nicht lange genug dabei bleiben.« Darauf entgegnete Mrs. Almond mehr als einmal, wenn Catherine sich von ihrem unangemessenen Liebhaber gelöst habe, verdiene sie dafür Anerkennung, und sich zu der einsichtsreichen Anschauung ihres Vaters durchzukämpfen, müsse sie eine Anstrengung gekostet haben, die er unweigerlich anerkennen müsse.
    »Ich bin mir keineswegs sicher,

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