Washington Square
früher erwähnten Brief hörte sie noch zweimal, in beträchtlichen Zeitabständen, von ihm; aber in keinem dieser Fälle schrieb sie eine Antwort. Andererseits stellte der Doktor fest, daß sie dem Gedanken, einen andern zu heiraten, unbeirrbar abgeneigt blieb. Die Gelegenheiten, die sich ihr boten, waren nicht gerade häufig, aber immerhin oft genug, um ihre Sinnesart einer Probe unterziehen zu können. Sie lehnte einen Witwer ab, einen Mann von angenehmem Wesen, mit beträchtlichem Vermögen und drei kleinen Mädchen (er hatte gehört, daß sie Kinder sehr gern hatte, und er wies recht zuversichtlich auf die seinen hin); und sie blieb taub gegenüber der Werbung eines geschickten jungen Rechtsanwalts, der Aussicht auf eine umfangreiche Praxis hatte sowie den Ruf eines höchst liebenswürdigen Mannes genoß und bei der Suche nach einer Ehefrau den Scharfsinn gehabt hatte, zu glauben, sie würde besser zu ihm passen als verschiedene jüngere und reizvollere Mädchen. Mr. Macalister, der Witwer, hatte eine Vernunftehe im Auge und Catherine wegen ihrer, wie er meinte, verborgenen hausmütterlichen Eigenschaften auserwählt; aber John Ludlow, der ein Jahr jünger als das Mädchen war und über den man stets als von einem jungen Mann sprach, der sich die Beste aussuchen konnte, war ernstlich in sie verliebt. Catherine hatte indes keinen Blick für ihn übrig; sie machte ihm deutlich, daß er sie ihrer Meinung nach zu häufig besuche. Er tröstete sich später und heiratete eine Frau ganz anderer Art, die kleine Miss Sturtevant, deren Vorzüge selbst dem abgestumpftesten Begriffsvermögen offenkundig waren. Catherine hatte zur Zeit dieser Begebenheiten |259| ihr dreißigstes Lebensjahr schon beträchtlich überschritten und bereits ganz den Platz einer alten Jungfer eingenommen. Ihrem Vater wäre es lieber gewesen, wenn sie geheiratet hätte, und er sagte ihr einmal, er hoffe, sie würde nicht allzu wählerisch sein. »Ehe ich sterbe, würde ich dich gern als Frau eines vertrauenswürdigen Mannes sehen«, sagte er. Das war, nachdem John Ludlow genötigt war aufzugeben, obgleich ihm der Doktor empfohlen hatte durchzuhalten. Der Doktor übte keinen weiteren Druck aus und stand im Ruf, sich keine Sorgen darüber zu machen, daß seine Tochter nicht verheiratet war; in Wirklichkeit machte er sich weit mehr Sorgen, als es den Anschein hatte, und es kam beträchtlich lange Zeit vor, daß er wahrhaftig meinte, Morris Townsend sei hinter irgendeiner Tür versteckt. »Wenn er das nicht ist, warum heiratet sie dann nicht?« fragte er sich. »So beschränkt ihre Intelligenz auch sein mag, sie muß doch völlig einsehen, daß sie für das Übliche geschaffen ist.« Catherine wurde indes eine vortreffliche alte Jungfer. Sie entwickelte Gewohnheiten, teilte ihre Tage nach einem eigenen System ein, interessierte sich für wohltätige Einrichtungen, Asyle, Krankenhäuser und Hilfsorganisationen, und ging für gewöhnlich mit gleichförmigem und geräuschlosem Schritt den feststehenden Aufgaben ihres Lebens nach. Dieses Leben hatte jedoch ebenso eine verborgene wie eine öffentlich bekannte Geschichte – wenn ich von einer öffentlich bekannten Geschichte einer reifen und schüchternen alten Jungfer sprechen darf, für die Öffentlichkeit stets eine Häufung von Schrecken bedeutete. Von ihrem Standpunkt aus waren die bedeutsamen Tatbestände ihrer Lebensgeschichte, daß Morris Townsend mit ihrer Liebe gespielt und ihr Vater deren Spannkraft gebrochen hatte. Nichts konnte jemals diese |260| Tatbestände ändern; sie waren immerzu gegenwärtig, wie ihr Name, ihr Alter, ihr reizloses Gesicht. Nichts konnte jemals das Unrecht ungeschehen machen oder den Schmerz stillen, den Morris ihr angetan hatte, und nichts konnte sie jemals dazu bringen, für ihren Vater dasselbe zu empfinden wie in früheren Jahren. Etwas in ihrem Leben war erstorben, und ihre Aufgabe war es, zu versuchen, diese Leere auszufüllen. Catherine stand bis aufs äußerste zu dieser Aufgabe; vor sich hinzubrüten und Trübsal zu blasen verwarf sie gänzlich. Natürlich hatte sie nicht die Gabe, ihre Erinnerung durch Leichtlebigkeit auszulöschen; aber sie beteiligte sich unbefangen an den herkömmlichen Festlichkeiten der Stadt und wurde schließlich zu einer unentbehrlichen Persönlichkeit bei allen seriösen Veranstaltungen. Sie war ausnehmend beliebt, und mit der Zeit wurde sie eine Art nette unverheiratete Tante für den jüngeren Teil der Gesellschaft. Junge Mädchen
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