Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
packe ich, obwohl Marlena gerade mit Rosie die mittlere
Manege betritt, den Racklo beim Kragen und schleife ihn unter dem Gradin
hervor.
»Lass mich los!«, kreischt er. »Haste sie noch alle?«
Ich halte ihn fest gepackt, aber meine Aufmerksamkeit gilt der
Manege.
Marlena balanciert furchtlos auf ihrem Ball, aber Rosie rührt sich
nicht, sie steht mit allen vieren fest auf dem Boden. August reißt wiederholt
die Arme hoch. Er schwingt seinen Stock. Er schüttelt die Fäuste. Sein Mund
geht auf und zu. Rosie legt die Ohren an, und ich beuge mich vor, um sie mir
genauer anzusehen. Sie wirkt eindeutig streitlustig.
Oh, Gott, Rosie. Nicht jetzt. Tu das nicht jetzt.
»Och, komm schon!«, schreit der verdreckte Wicht in meinen Armen.
»Das ist doch hier nicht die Sonntagsschule. War nur’n harmloser, kleiner Spaß.
Komm schon! Lass mich los!«
Er keucht, sein Atem stinkt, und aus seinem Unterkiefer ragen
vereinzelt lange, braune Zähne. Angewidert schubse ich ihn von mir weg.
Als er sich kurz umsieht und merkt, dass niemand etwas mitbekommen
hat, zieht er mit rechtschaffener Empörung seine Aufschläge glatt und schwankt
zum Hintereingang. Bevor er hinausgeht, wirft er mir noch mit
zusammengekniffenen Augen einen giftigen Blick zu. Von mir springt sein Blick
aber auf etwas anderes über, auf etwas hinter mir. Mit schreckensstarrem
Gesicht hechtet er zur Seite.
Ich wirble herum und sehe Rosie, die mit erhobenem Rüssel und
offenem Maul auf mich zurast. Ich presse mich gegen das Gradin, als sie
trompetend vorbeirennt, sie läuft mit einer solchen Wucht, dass sie eine
metergroße Sägemehlwolke hinter sich herzieht. August, der wild mit seinem
Stock fuchtelt, folgt ihr.
Die Menge bricht in wildes Gelächter und Beifallsrufe aus – die
Leute glauben, das gehöre zur Nummer. Onkel Al steht verblüfft mitten auf dem
Hippodrom. Mit offenem Mund starrt er auf den Hintereingang, bevor er reagiert
und Lottie ankündigt.
Ich rapple mich auf und halte nach Marlena Ausschau. Wie ein
rosafarbener Blitz rast sie vorbei.
»Marlena!«
Weiter hinten prügelt August bereits auf Rosie ein. Sie brüllt und
schreit, wirft den Kopf zurück und weicht nach hinten aus, aber er ist wie eine
Maschine. Er hebt diesen verdammten Stock und hämmert mit der Spitze auf sie
ein, immer und immer wieder. Als Marlena die beiden erreicht, dreht er sich zu
ihr um. Der Stock fällt zu Boden. Er starrt sie mit wilder Intensität an, Rosie
ist völlig vergessen.
Diesen Blick kenne ich.
Ich renne los. Nach nicht einmal zwölf Schritten werden mir die Füße
weggerissen, und ich lande mit dem Gesicht voran auf dem Boden; jemand drückt
ein Knie auf meine Wange und verdreht mir den Arm hinter dem Rücken.
»Geh von mir runter, verdammt!«, brülle ich und will mich befreien.
»Was zum Teufel soll das? Lass mich los!«
»Halt einfach die Klappe«, höre ich Blackie über mir. »Du gehst
nirgendwo hin.«
August bückt sich und wirft sich Marlena über die Schulter. Sie
trommelt mit den Fäusten auf seinen Rücken, strampelt mit den Beinen und
schreit. Fast gelingt es ihr, von seiner Schulter zu rutschen, aber er schiebt
sie nur mit einem Ruck wieder nach oben und marschiert davon.
»Marlena! Marlena!« Ich schreie und fange wieder an, mich zu wehren.
Es gelingt mir, mich unter Blackies Knie hervorzuwinden. Ich bin
fast wieder auf den Füßen, da kracht etwas auf meinen Hinterkopf. Mein Gehirn
und meine Augen werden durchgerüttelt. Ich sehe schwarze und weiße Sterne und
denke, jetzt bin ich auch noch taub. Im nächsten Moment kehrt meine Sehkraft
zurück, erst am Rand, dann auch weiter zur Mitte hin. Langsam erkenne ich
Gesichter und Lippen, die sich bewegen, aber ich höre nichts als ein
ohrenbetäubendes Summen. Kniend schwanke ich, ich versuche zu verstehen, wer
und was und wo ich bin, doch dann rast der Boden auf mich zu. Mir fehlt die
Kraft, ihn aufzuhalten, also wappne ich mich innerlich, doch es ist vergebens,
denn die Dunkelheit verschlingt mich, bevor der Boden mich trifft.
Zweiundzwanzig
»Schscht, nicht bewegen.«
Das tue ich auch nicht, aber mein Kopf wird von der Bewegung des
Zuges durchgerüttelt. Von der Lokomotive ertönt ein klagendes Pfeifen, ein
ferner Klang, der irgendwie durch das hartnäckige Summen in meinen Ohren
dringt. Ich spüre im ganzen Körper eine bleierne Schwere.
Etwas Nasskaltes berührt meine Stirn. Ich öffne die Augen und sehe
tanzende Farben und Formen vor mir. An meinem Gesicht wischen
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