Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
gleichermaßen erschöpft wie voll neuer Kraft, ebenso
verzweifelt wie erfüllt. Ansonsten gehen wir im Küchenbau betont förmlich
miteinander um. Wir sind so darauf bedacht, den Schein zu wahren, dass wir
unsere Gespräche so halten, als säße jemand mit uns am Tisch, obwohl uns
unmöglich jemand hören kann. Trotzdem frage ich mich, ob unsere Affäre nicht
offensichtlich ist. Mir kommt es so vor, als könne man das Band, das uns
verbindet, deutlich sehen.
In der Nacht nach unserer dritten spontanen, fieberhaften Zusammenkunft,
als ich sie noch auf meinen Lippen schmecke, habe ich einen sehr lebensechten
Traum. Der Zug hat im Wald angehalten, aber ich weiß nicht warum, denn es ist
mitten in der Nacht, und niemand rührt sich. Draußen höre ich anhaltendes,
verzweifeltes Bellen. Ich steige aus dem Pferdewagen und folge dem Lärm bis zu
einer steilen Böschung. Queenie kämpft auf dem Grund einer Schlucht mit einem
Dachs, der sich in eins ihrer Beine verbissen hat. Ich rufe ihren Namen,
während ich die Böschung verzweifelt nach einem Weg hinunter absuche. Ich will
an einem lianenartigen Ast hinuntersteigen, rutsche aber nur im Matsch aus und
ziehe mich schließlich wieder nach oben.
Währenddessen befreit Queenie sich und krabbelt die Böschung hinauf.
Ich hebe sie hoch, um nachzusehen, ob sie verletzt ist. Unglaublicherweise geht
es ihr gut. Ich klemme sie mir unter den Arm und drehe mich zum Pferdewagen um,
doch ein zweieinhalb Meter langer Alligator versperrt den Eingang. Ich laufe
zum nächsten Wagen, aber der Alligator dreht sich ebenfalls um und läuft neben
dem Zug her, das lange Maul aufgerissen zu einem scharfzahnigen Grinsen.
Panisch wirble ich herum. Aus der anderen Richtung kommt ein weiterer riesiger
Alligator auf uns zu.
Hinter uns höre ich Geräusche, Blätterrascheln und knackende Zweige.
Der Dachs ist die Böschung heraufgeklettert und hat sich vervielfacht.
Hinter uns ist eine Wand aus Dachsen, vor uns ein Dutzend
Alligatoren.
Ich wache schweißgebadet auf.
Unsere Lage ist unhaltbar, und ich weiß es.
In Poughkeepsie geraten wir in eine Razzia, und dieses eine Mal
verwischen die sozialen Grenzen: Arbeiter, Artisten und Chefs packt das Heulen
und Zähneklappern, als der ganze Scotch, der ganze Wein, der gute kanadische
Whiskey, das ganze Bier, der Gin und sogar der Selbstgebrannte von Männern mit
verdrießlicher Miene am ausgestreckten Arm in den Schotter gekippt wird. Er
sickert blubbernd durch die Steine ins schnöde Erdreich.
Und dann werden wir aus der Stadt gejagt.
In Hartford nehmen einige Besucher ernsthaften Anstoß daran, dass
Rosie nicht auftritt und vor der Kuriositätenschau noch immer ein Plakat für
die Liebliche Lucinda wirbt, obwohl die Liebliche Lucinda leider nicht mehr
unter uns weilt. Die Flicker sind nicht schnell genug, und bevor wir recht
wissen, was los ist, umlagern aufgebrachte Männer den Kassenwagen und verlangen
ihr Geld zurück. Von der einen Seite bedrängt uns die Polizei, von der anderen
die Städter, und so ist Onkel Al gezwungen, die kompletten Tageseinnahmen zu
erstatten.
Und dann werden wir aus der Stadt gejagt.
Am nächsten Morgen ist Zahltag, und die Angestellten von Benzinis Spektakulärster Show der Welt stellen sich vor
dem roten Kassenwagen an. Die Arbeiter haben schlechte Laune – sie wissen,
woher der Wind weht. Ganz vorne steht ein Racklo, und als er mit leeren Händen
abzieht, bricht die ganze Schlange in wütendes Schimpfen aus. Die restlichen Arbeiter
verschwinden spuckend und fluchend, nur die Artisten und Chefs bleiben zurück.
Wenig später brandet erneut wütendes Gemurmel durch die Schlange, dieses Mal
mit einem überraschten Unterton. Zum ersten Mal in der Geschichte der Show
bekommen die Artisten kein Geld. Nur die Chefs werden bezahlt.
Walter ist außer sich vor Wut.
»Was soll die Scheiße?«, brüllt er, als er in den Pferdewagen
steigt. Er wirft seinen Hut in die Ecke und lässt sich auf die Schlafmatte
fallen.
Von Camel auf der Pritsche kommt ein Wimmern. Seit der Razzia starrt
er nur noch die Wand an oder weint. Er spricht nur, wenn wir versuchen, ihn zu
füttern oder zu säubern, und selbst dann bettelt er nur darum, dass wir ihn
nicht seinem Sohn übergeben. Walter und ich beruhigen ihn abwechselnd, indem
wir was von Familie und Vergebung daherreden, aber wir haben beide Bedenken. In
welchem Zustand auch immer er seine Familie verlassen hat, jetzt geht es ihm
unendlich viel schlechter, seine Gebrechen lassen keine
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