Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
vier
verschwommene Arme vorbei, die dann zu einem einzigen, verkürzten Arm werden.
Ich würge, meine Lippen formen sich unwillkürlich zu einem Tunnel. Dann drehe
ich den Kopf zur Seite, aber es kommt nichts.
»Lass die Augen zu«, sagt Walter. »Bleib ruhig liegen.«
»Hrmmpf«, grummle ich. Ich drehe den Kopf weiter zur Seite, und das
Tuch rutscht mir von der Stirn. Sofort wird es mir wieder aufgelegt.
»Du hast einen ordentlichen Schlag abbekommen. Schön, dass du wieder
zu dir kommst.«
»Wird er wach?«, fragt Camel. »He, Jacob, biste noch unter uns?«
Es kommt mir vor, als müsste ich aus einem tiefen Schacht
aufsteigen, ich finde mich nur schwer zurecht. Offenbar liege ich auf der
Schlafmatte. Der Zug fährt bereits. Aber wie bin ich hierher gekommen, und
warum habe ich geschlafen?
Marlena!
Ich reiße die Augen auf und will mich hochkämpfen.
»Hab ich nicht gesagt, du sollst liegen bleiben?«, schimpft Walter.
»Marlena! Wo ist Marlena?«, keuche ich, als ich zurück aufs Kissen
falle. Das Hirn schaukelt in meinem Schädel; ich glaube, es hat sich
losgerissen. Wenn ich die Augen offen halte, ist es schlimmer, also schließe
ich sie wieder. Ohne visuelle Reize wirkt die Dunkelheit größer als mein
Schädel, so als hätte er sich nach außen gestülpt.
Walter kniet neben mir. Er nimmt mir das Tuch von der Stirn, tunkt
es in eine Schale mit Wasser und drückt es aus. Das Wasser rinnt mit einem
vertrauten Plätschern, einem reinen, sauberen Geräusch, zurück in die Schale.
Das Summen nimmt langsam ab, stattdessen breitet sich über meinen gesamten
Hinterkopf ein pochender Schmerz aus.
Walter tupft mir erneut mit dem Tuch das Gesicht ab. Er feuchtet mir
Stirn, Wangen und Kinn an. Das kühle Prickeln hilft mir, klarer zu werden und
mich auf die Welt außerhalb meines Schädels zu konzentrieren.
»Wo ist sie? Hat er ihr wehgetan?«
»Ich weiß es nicht.«
Wieder öffne ich die Augen, und alles kippt zur Seite. Ich stütze
mich mühsam auf einen Ellbogen, und dieses Mal drückt Walter mich nicht zurück
aufs Kissen. Stattdessen beugt er sich vor und betrachtet meine Augen.
»Scheiße. Deine Pupillen sind unterschiedlich groß. Glaubst du, du kannst was
trinken?«, fragt er.
»Ahh … ja«, keuche ich. Es fällt mir schwer, Worte zu finden. Ich
weiß, was ich ausdrücken möchte, aber der Weg zwischen meinem Mund und meinem
Gehirn kommt mir wie mit Watte ausgestopft vor.
Walter geht ans andere Ende des Raumes, und ein Flaschenverschluss
fällt klirrend zu Boden. Dann kommt er zurück und hält mir eine Flasche an den
Mund. Es ist Root Beer. »Ich fürchte, was Besseres hab ich nicht zu bieten«,
bedauert er.
»Verdammte Bullen«, grummelt Camel. »Alles klar, Jacob?«
Ich würde gerne antworten, aber mich aufrecht zu halten erfordert
meine ganze Konzentration.
»Walter, geht’s ihm gut?« Jetzt klingt Camel deutlich besorgter.
»Ich glaube schon«, antwortet Walter. Er stellt die Flasche ab.
»Willst du dich mal hinsetzen? Oder lieber ein paar Minuten warten?«
»Ich muss Marlena holen.«
»Vergiss es, Jacob. Du kannst jetzt nichts machen.«
»Ich muss. Was, wenn er …?« Mir versagt die Stimme, ich kann nicht
einmal den Satz beenden. Walter hilft mir, mich aufzusetzen.
»Du kannst jetzt nichts machen.«
»Das nehme ich so nicht hin.«
Walter fährt wütend herum. »Verdammt noch mal, hör mir endlich
einmal zu!«
Seine Wut bringt mich zum Schweigen. Ich stelle die Knie auf und
beuge mich vor, sodass mein Kopf auf den Armen ruht. Er fühlt sich schwer und
riesig an, als wäre er mindestens so groß wie mein Körper.
»Vergessen wir mal, dass wir in einem fahrenden Zug hocken und du
eine Gehirnerschütterung hast. Wir sitzen in der Scheiße, und zwar verdammt
tief. Und alles, was du jetzt unternehmen könntest, würde es nur schlimmer
machen. Wenn sie dir nicht eins übergebraten hätten und Camel nicht noch hier
wäre, hätte ich heute nie im Leben mehr einen Fuß in diesen Zug gesetzt.«
Zwischen meinen Knien hindurch starre ich auf die Schlafmatte, dabei
versuche ich, mich auf die größte Falte im Stoff zu konzentrieren. Mittlerweile
halten die Dinge besser ihre Form, sie verwischen nicht mehr ständig. Mit jeder
weiteren Minute kommen neue Teile meines Gehirns in Schwung.
»Hör mal«, fährt Walter ruhiger fort, »es sind nur noch drei Tage,
bis wir Camel abladen. Und bis dahin müssen wir uns so gut schlagen, wie’s
geht. Das heißt, wir müssen uns vorsehen und dürfen
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