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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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Camel schließlich. »Der Kram hat ganz
ordentlich geschmeckt, bis die Regierung meinte, das darf es nicht. Wirkt zwar
immer noch, schmeckt aber entsetzlich. Und das ist eine verdammte Schande, weil
es das Einzige ist, was meine alten Knochen in Schwung hält. Ich bin so
ziemlich am Ende. Ich könnte höchstens noch Eintrittskarten verkaufen, und
dafür bin ich wohl zu hässlich.«
    Ich sehe ihn kurz an und muss ihm recht geben. »Kannst du nichts
anderes machen? Vielleicht hinter den Kulissen?«
    »Der Kartenverkauf ist die letzte Station.«
    »Und was machst du, wenn du nicht mehr zurechtkommst?«
    »Ich schätze, dann hab ich eine Verabredung mit Blackie.«
Erwartungsvoll dreht er sich zu mir. »He, hast du Zigaretten?«
    »Nein. Tut mir leid.«
    »Hab ich mir fast schon gedacht«, seufzt er.
    Schweigend sehen wir zu, wie die zahllosen Gespanne Ausrüstung,
Tiere und Zeltwände zurück zum Zug schaffen. Die Artisten verlassen das
Chapiteau durch den Hintereingang, verschwinden in Garderobenzelten und kommen
in Straßenkleidung wieder heraus. Gruppenweise stehen sie zusammen, lachen und
reden, einige wischen sich noch das Gesicht ab. Auch ohne Kostüm wirken sie
glamourös. Die farblosen Arbeiter, die überall umherlaufen, existieren zwar im
gleichen Universum, aber offenbar in einer anderen Dimension. Sie reagieren mit
keiner Geste aufeinander.
    Camel unterbricht meinen Tagtraum. »Warst du am College?«
    »Ja, Sir.«
    »Dachte ich mir.«
    Wieder bietet er mir die Flasche an, aber ich schüttle den Kopf.
    »Hast du abgeschlossen?«
    »Nein«, antworte ich.
    »Warum nicht?«
    Ich gebe ihm keine Antwort.
    »Wie alt bist du, Jacob?«
    »Dreiundzwanzig.«
    »Ich hab einen Sohn in deinem Alter.«
    Die Musik ist verklungen, und die ersten Städter verlassen das Chapiteau.
Sie bleiben verwundert stehen und fragen sich, was mit der Menagerie passiert
ist, durch die sie das Zelt betreten haben. Während sie durch den Vordereingang
hinausgehen, kommt von hinten ein ganzes Heer Männer herein, karrt
Tribünenbänke, Logenstühle und die Piste hinaus und wirft die Teile dröhnend auf
einen Transportkarren. Das Chapiteau wird bereits ausgeschlachtet, bevor das
Publikum es ganz verlassen hat.
    Camel gibt ein verschleimtes Husten von sich, die Anstrengung
schüttelt ihn durch. Mit einem Blick frage ich ihn, ob ich ihm auf den Rücken
klopfen soll, doch er wehrt ab. Er schnieft, hustet und spuckt aus. Dann leert
er die Flasche, wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und mustert mich
aus den Augenwinkeln von oben bis unten.
    »Hör mal«, sagte er. »Du musst mir gar nichts erzählen, aber ich
weiß auch so, dass du noch nicht lange auf der Straße lebst. Du bist zu sauber,
deine Klamotten sind zu gut, und du besitzt überhaupt nichts. Auf der Straße
sammelt man Zeug – vielleicht kein tolles Zeug, aber man sammelt es trotzdem.
Ich weiß, das sagt grad der Richtige, aber für einen Jungen wie dich ist das
Landstreicherleben nichts. Ich kenn es gut, und das ist kein Leben.« Seine
Unterarme ruhen auf den angezogenen Knien, das Gesicht hat er mir zugewandt.
»Wenn du etwas hast, wohin du zurück kannst, dann solltest du gehen.«
    Es dauert einen Moment, bis ich mit brüchiger Stimme antworten kann:
»Ich habe nichts.«
    Er wirft mir einen langen Blick zu, dann nickt er. »Tut mir wirklich
leid, das zu hören.«
    Die Menge zerstreut sich auf dem Weg vom Chapiteau zum Parkplatz und
weiter Richtung Stadtgrenze. Hinter dem Chapiteau steigt ein Ballon in den
Himmel, gefolgt vom langgezogenen Heulen eines Kindes. Man hört Gelächter,
Motorengeräusche und laute, aufgeregte Stimmen.
    »Unglaublich, wie sie sich verbogen hat.«
    »Ich hätte mich fast totgelacht, als dieser eine Clown seine Hose
runtergelassen hat.«
    »Wo ist Jimmy – Hank, hast du Jimmy bei dir?«
    Plötzlich rappelt Camel sich auf. »Ha! Da ist er. Da kommt der alte
Mistkerl.«
    »Wer?«
    »Onkel Al! Komm schon! Wir müssen dich in die Show bringen.«
    Er humpelt schneller davon, als ich ihm zugetraut hätte. Ich stehe
auf und folge ihm.
    Onkel Al ist nicht zu verkennen. Er ist der Inbegriff eines
Zirkusdirektors, vom scharlachroten Frack über die weiße Reithose bis zum
Zylinder und dem gewachsten Zwirbelbart. Mit herausgestrecktem Schmerbauch
marschiert er über das Gelände wie der Anführer einer Blaskapelle, dabei
erteilt er mit sonorer Stimme Befehle. Er bleibt stehen, um einen Löwenkäfig
vorbeizulassen, dann geht er weiter, vorbei an einer Gruppe

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