Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
fragen in die Garderobe einer Dame zu platzen?«
Onkel Al beachtet sie gar nicht. Er marschiert direkt auf August zu
und stößt ihm einen Finger gegen die Brust.
»Es ist dein gottverdammter Elefant!«, schreit er.
August blickt einen Atemzug lang auf den Finger an seiner Brust,
bevor er ihn sorgsam zwischen Daumen und Zeigefinger nimmt. Er schiebt Onkel Als
Hand zur Seite, zieht ein Taschentuch hervor, schüttelt es aus und wischt sich
den Speichel vom Gesicht.
»Wie bitte?«, fragt er anschließend.
»Es ist dein gottverdammter diebischer Elefant!«, schreit Onkel Al,
wobei er August wieder mit Spucke vollsprüht. »Sie zieht ihren Pflock raus,
geht mit ihm die verdammte Limonade saufen, dann schleicht sie sich wieder
zurück und rammt den Pflock in den Boden!«
Marlena schlägt sich eine Hand vor den Mund, aber sie ist nicht
schnell genug.
Onkel Al herrscht sie wütend an: »Findest du das lustig? Findest du
das etwa lustig?«
Die Farbe weicht aus ihrem Gesicht.
Ich stehe auf und trete vor. »Sie müssen schon zugeben, dass es in
gewisser Weise …«
Onkel Al schubst mich mit beiden Händen so kräftig, dass ich nach
hinten auf eine Truhe falle.
Dann wendet er sich wieder August zu. »Diese dämliche Elefantenkuh
hat mich ein Vermögen gekostet! Ihretwegen konnte ich die Arbeiter nicht
bezahlen, musste was unternehmen und habe Ärger mit der verdammten
Eisenbahnbehörde bekommen! Und wofür? Das blöde Vieh will nicht auftreten und
säuft die Scheiß-Limonade!«
»Al!«, wirft August scharf ein. »Pass auf, was du sagst. Ich muss
dich wohl daran erinnern, dass eine Dame anwesend ist.«
Onkel Al wirft Marlena einen unbeeindruckten Blick zu.
»Woody rechnet den Verlust zusammen«, sagt er zu August. »Den Betrag
ziehe ich dir vom Lohn ab.«
»Den hast du schon den Racklos abgenommen«, sagt Marlena leise.
»Hast du vor, ihnen das Geld zurückzugeben?«
Onkel Al sieht sie mit einem Ausdruck an, der mir so gründlich
missfällt, dass ich mich zwischen die beiden stelle. Als er mich ansieht,
knirscht er vor Wut mit den Zähnen. Dann dreht er sich um und marschiert
hinaus.
»So ein Mistkerl«, sagt Marlena. »Ich hätte mich auch gerade
umziehen können.«
August steht regungslos da. Dann nimmt er seinen Zylinder und den
Elefantenhaken.
Marlena sieht das im Spiegel. »Wohin gehst du?«, fragt sie rasch.
»August, was hast du vor?«
Er geht auf die Tür zu.
Sie ergreift seinen Arm. »Auggie! Wohin willst du?«
»Ich werde nicht als Einziger für die Limonade bezahlen.« Damit
schüttelt er sie ab.
»August, nicht!« Sie umfasst wieder seinen Ellbogen. Dieses Mal
versucht sie mit ganzem Körpereinsatz, ihn zurückzuhalten. »August, warte! Um
Himmels willen. Sie versteht das doch nicht. Nächstes Mal machen wir sie besser
fest …«
August reißt sich los, und Marlena knallt auf den Boden. Angewidert
sieht er sie an. Dann setzt er den Hut auf und wendet sich ab.
»August!«, schreit sie. »Nicht!«
Er schiebt die Zelttür auf und verschwindet. Marlena bleibt fassungslos
sitzen, wo sie zu Boden gefallen ist. Ich blicke zwischen dem Zelteingang und
ihr hin und her.
»Ich gehe ihm nach«, sage ich und will zur Tür.
»Nein! Warte!«
Ich bleibe stehen.
»Das würde nichts bringen«, sagt sie, ihre Stimme klingt tonlos und
dünn. »Du kannst ihn nicht aufhalten.«
»Aber ich kann es verdammt noch mal versuchen. Letztes Mal habe ich
nichts unternommen, und das werde ich mir nie verzeihen.«
»Du verstehst das nicht! Du machst es nur noch schlimmer! Jacob,
bitte! Du verstehst das nicht.«
Ich wirble zu ihr herum. »Nein! Allerdings nicht! Ich verstehe gar
nichts mehr. Kein bisschen. Warum klärst du mich nicht auf?«
Sie reißt die Augen auf, ihre Lippen formen ein O. Dann verbirgt sie
das Gesicht in den Händen und bricht in Tränen aus.
Entsetzt falle ich auf die Knie und schließe sie in die Arme. »Oh,
Marlena, Marlena …«
»Jacob«, flüstert sie in mein Hemd. Sie klammert sich so fest an
mich, als würde ich sie davor retten, in einen Abgrund gesogen zu werden.
Sechzehn
»Ich heiße nicht Rosie, sondern Rosemary. Das wissen Sie
doch, Mr. Jankowski.«
Schlagartig komme ich zu mir. Ich blinzle in das unverkennbare,
blendende Licht von Neonröhren.
»Hm? Was?« Meine Stimme klingt dünn und quäkig. Eine schwarze Frau
beugt sich über mich und mummelt meine Beine ein. Sie hat duftendes, glattes
Haar.
»Sie haben mich gerade Rosie genannt. Ich heiße Rosemary«, sagt sie
und
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