Wasser-Speier
befand sich auf einem hohen Steinfundament, auf dem seine Düse ruhte. Gary schritt um ihn herum, bis er eine Tür entdeckte. Die war ve r schlossen, öffnete sich aber sofort nach außen, als er daran zog. Im Innern wand sich ein kurzer Gang in die Höhe. Gary folgte ihm und entdeckte schließlich, was sich in der Mitte befand.
»Von wegen Schlüsselstein!« rief er. Doch war er alles andere als enttäuscht. Er hatte die Bestätigung für seinen Verdacht gefunden und gleichzeitig eine wunderbare Entdeckung gemacht.
Es war ein grauenerregender steinerner Wasserspeier, der da das Wasser von sich gab. Ein weibliches Exemplar. Gary ließ den Blick über ihre furchtbar häßlichen Gesichtszüge und die steinernen Konturen fahren und verliebte sich auf der Stelle in sie.
»Immer mit der Ruhe, Gary«, murmelte Mentia. »Sag jetzt bloß nichts, was wir alle noch bereuen könnten.« Sie wirkte inzwischen ganz vernünftig und nüchtern.
Mentia meinte damit, daß er seine eigene, wahre Natur nicht preisgeben sollte – für den Fall, daß die Illusionsleute von Scha r nier es mitbekämen. Gary begriff zwar nicht so recht, weshalb irgend jemand sich etwas daraus machen sollte, daß er ein verwa n delter Wasserspeier war, doch respektierte er die Ermahnung der Dämonin und nickte.
Da erblickte die Wasserspeierin die Gefährten. Sie sperrte ihre Kehle zu und unterbrach den sauberen Wasserstrom. »Hallo, Fremde«, sagte sie. »Seid ihr wirklich oder nur Illusion?«
»Ein bißchen von beidem«, meldete Mentia sich schnell zu Wort. »Wir sind nicht unbedingt das, was wir zu sein scheinen. Ich zum Beispiel sehe zwar menschlich aus, bin aber in Wirklichkeit eine Dämonin.« Für einen kurzen Augenblick nahm sie die Form einer gestreiften grünen Wolke an, um das Gesagte zu unterstreichen; dann wurde sie wieder zu einem Menschen. »Aber davon abges e hen sind wir durchaus wirklich. Wir gehören zu einer Gruppe von insgesamt fünf Leuten, die gerade in der steinernen Stadt Scharnier zu Besuch weilen.«
»Da bin ich aber erleichtert«, meinte die Wasserspeierin. »Es ist schon sehr lange her, seit ich mal etwas anderes als Illusionsleute zu Gesicht bekommen habe.« Sie zuckte mit den Barthaaren. »Ich bin Gayle Wasserspeier.«
»Ich bin D. Mentia.«
»Und ich bin Gary Gar.«
Gayles Blick heftete sich auf Gary. Doch bevor sie etwas sagen konnte, ergriff Mentia erneut das Wort. »Wir ziehen es vor, es d a bei zu belassen – jedenfalls fürs erste. Keine weitere Vorstellung erforderlich.«
Gayle nickte, obwohl ihre Augen sich verengt hatten. »Das ist wahrscheinlich das Beste. Doch möchte ich euch um einen Gefa l len bitten. Ich mag es nämlich nicht, von Illusionen zum Narren gehalten zu werden. Würdest du mich vielleicht einmal anfassen, Gary, damit ich mich davon überzeugen kann, daß ihr wirklich greifbar und feststofflich seid?«
»Aber gern«, erwiderte Gary. Er trat vor und legte seine fle i scherne Menschenhand auf ihre Steinlöwentatze.
Die Berührung jagte ihm einen Schauer durch den Leib. Nicht nur, daß Gayle wirklich war – nach den Normen seiner Art war sie auch höchst begehrenswert. Und Gary wußte, daß sie durch die Berührung sein wahres Wesen erfaßte, denn Wasserspeier erkan n ten einander stets. Und sie mochte ihn!
Laß sie nicht dein wahres Wesen erkennen.
Sie hatte im Geist zu ihm gesprochen! Er hatte gar nicht gewußt, daß Wasserspeier so etwas konnten. Andererseits war es auch schon Jahrhunderte her, seit er zum letztenmal einem Mitglied seiner eigenen Art begegnet war. Vielleicht hatte er es ja nur ve r gessen.
Es ist diese intensive Magie, die meine Natur verstärkt. Trau den Illusi o nen nicht.
Da erschien Hanna. »Ah, da seid ihr ja! Ein Treffen mit dem Wasserspeier.«
Zögernd nahm Gary die Hand wieder zurück. »Ja, ich wollte mich davon überzeugen, daß sie… nicht auch eine Illusion ist.«
»Um sicherzugehen, daß das Wasser tatsächlich rein ist«, fügte Mentia hinzu.
»Wenn dieser Springbrunnen noch derselbe wäre wie ursprün g lich, würdet ihr beide längst nicht mehr so weit voneinander en t fernt dastehen«, bemerkte Hanna lächelnd.
»Liebeselixier kann Dämonen nichts anhaben«, versetzte Mentia eine Spur schnippisch.
»Dieser Born vielleicht doch. Hier herrscht schließlich eine ä u ßerst starke Magie.«
Nun wurde Gary ihrer gewahr: eine Aura wie die des Wahnsinns, nur noch schlimmer. Er war so fasziniert von der Wasserspeierin gewesen, daß ihm überhaupt nicht
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