Wasser-Speier
Aber wer steuerte sie? Und aus welchem Grund? Das ganze hatte mit Iris’ Abbild der alten Stadt begonnen, das wiederum auf Garys Lesen der Gesteinsbilder beruht hatte. Nur, daß sich jetzt eben noch eine weitere Partei einschaltete. Aber warum? Und we l che Gefahr konnte das für sie alle bedeuten?
Mittlerweile mehrten sich die Anzeichen des drohenden Gewi t ters. Windböen zargten an fernen Zinnen, und Staub verstrudelte sich zu Wolken, die weiter entfernte Gebäude einhüllten. Sie ve r nahmen ein schwaches Wehgeschrei, das nach und nach immer lauter wurde. Der Himmel war verhangen und wurde zunehmend unruhiger.
In der Mitte der Stadt befand sich eine freie Stelle, in deren Mitte wiederum ein runder Teich aus klarem Wasser zu erkennen war. Hanna beruhigte sich ein wenig. »Hier sind wir vor dem Gewitter in Sicherheit«, verkündete sie.
»Wieso das?« wollte Mentia wissen. »Die zusammengeklappten Bauten können doch einiges an Sturm vertragen. Hier dagegen stehen wir ungeschützt im Freien.«
»Der Ansturm ist nur teilweise körperlicher Art«, erläuterte Desi. »Es ist der Wahnsinn, der sie angreifbar macht. Schau mal.« Desi gestikulierte, und die anderen bemerkten, daß eins der Gebäude ausgelassen worden war. Entweder waren nicht genug Oger für alle da, oder jeder Oger mußte sich um mehrere Bauten kümmern, und es war noch niemand bis zu diesem Gebäude gekommen.
Der staubgeschwängerte Wind umstrudelte den Bau – worauf dieser sich veränderte: Der Stein wurde durchsichtig, nahm eine mattrosa Tönung an. Als eine stärkere Windböe gegen das Gebä u de drückte, gab es plötzlich nach wie ein Klumpen Gelatine.
»Der Wahnsinn verändert die Dinge«, erklärte Hanna. »Deshalb können wir uns auch nicht auf die Festigkeit von Gestein verla s sen. Der Bau wird sich zwar wieder in Stein verwandeln, sobald das Gewitter vorbeigezogen ist, aber selbst wenn er intakt bleiben sollten, könnte es sein, daß er dabei eine völlig andere, verzerrte Form annimmt.«
»Und das wiederum ist für die Leute in diesem Gebäude wah r scheinlich alles andere als spaßig«, versetzte Iris und schnitt eine Grimasse.
»Das stimmt«, bestätigte Desi. »Es könnte sein, daß sie ums L e ben kommen oder um den Verstand. Dann werden sie nach dem Abklingen des Gewitters auch nicht wieder normal.«
»Das erklärt aber immer noch nicht, weshalb es hier besser sein soll«, warf Iris ein.
»Dieser innere Kreis ist sicher«, erwiderte Hanna. »Denn die Stadt Scharnier ist so konstruiert, daß die zusammengeklappten Gebäude gemeinsam ein Muster bilden, das hier, an dieser Stelle eine wahnsinnsfreie Zone erzeugt. Die Magie ist im Innern des Kreises meist von normaler bis unterdurchschnittlicher Stärke, je nach Heftigkeit des Gewitters selbst.«
»Warum lebt man dann nicht einfach im Innern des Kreises?« wollte Hiatus wissen.
»Weil es im Innern des Kreises nur eine sehr schwache Magie gibt, solange kein Gewitter vorherrscht«, erklärte Desi. »Die Tale n te funktionieren dort nicht. Die Oger verlieren ihre Kraft, und die Mischlinge werden krank, weil ihr Körper versucht, sich in die Einzelteile seines ursprünglichen Erbes aufzulösen. Magische Pflanzen verwelken oder sterben ab.«
»Kurzum, es ist wie Mundania«, meinte Mentia. »Ein gräßlicher Ort ohne Magie.«
»Ja«, bestätigte Hanna. »Und Dämonen funktionieren überhaupt nicht mehr.«
Mentia schnitt eine Grimasse. Das war sehr beeindruckend: Ihr gesamtes Gesicht zog sich zurück und faltete sich nach innen, bis es schließlich Nase, Augen und Mund hinterherzog. »Ich werde nicht länger hierbleiben, sobald der Stein fort ist«, sagte sie von der anderen Seite ihres Kopfes aus.
»Aber wenn du während des Gewitters hinausgehst«, wandte D e si ein, »wirst du dich mit Magie überladen. Dann könnte es durc h aus sein, daß du in einer Wolke des Wahnsinns explodierst.«
Gary blickte sich um. »Deshalb ist diese Stadt also voller Scha r niere. Damit man sie während der Wahnsinnsgewitter einklappen kann, um sie danach mühelos wieder aufzubauen.«
»Ja«, bestätigte Hanna. »Wir erleiden während der Gewitter nur sehr wenige Verluste, und die lassen sich ausgleichen. So können wir zu allen anderen Zeiten hervorragende Arbeit leisten. Scharnier beschützt uns sowohl innerhalb als auch außerhalb des Wah n sinns.«
»Das ist ja sehr raffiniert«, meinte Iris anerkennend.
»Haben die einzelnen Bauten eine ähnliche Wirkung?« wollte G a ry wissen. »Ich
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