Wasser zu Wein
›ausgehaltenes Luxusweibchen‹ und weißt es noch nicht einmal zu schätzen!« hatte er zurückgebrüllt.
»Ich hab mein Leben lang hinter euch hergewischt, jetzt will ich was für mich!«
»Vielleicht bei Aldi an der Kasse sitzen?« Er hatte sie nicht getröstet, als sie in Tränen ausgebrochen war.
Ihm war unbehaglich, wenn er sich an diesen Streit erinnerte. Nicht etwa, weil er nicht recht gehabt hätte – ach was, natürlich hatte er recht. Ein Teilzeitjob als Avon-Beraterin oder als Verkäuferin in »Heidi’s Wollstübchen« war doch nun wirklich keine fesselnde Alternative zum Hausfrauenjob! Er rechnete sich hoch an, daß er wenigstens nicht »Siehste!« gesagt hatte, in diesem langen, frustrierenden Jahr, in dem sie Anzeigen aufgegeben und Anzeigen studiert und sich manchmal sogar bei einem potentiellen Arbeitgeber vorgestellt hatte. Entweder hatte man Jüngeren den Vorzug gegeben oder die Bedingungen waren so miserabel gewesen, daß Beate selbst den Job abgelehnt hatte. »Aber du mußt doch gar nicht arbeiten!« Den Satz hatte er sich allerdings nicht verkneifen können, wenn sie ihm abends wieder etwas vorgeheult hatte.
Wenn er ehrlich war, dachte Kosinski und grinste in sich hinein: manchmal gelang das sogar ihm – wenn er ehrlich war, hatte er es vermieden, sie zu verstehen. Zu verstehen, welche Kränkung es war, in ihrem Alter schon für zu alt gehalten zu werden. Das hätte ihm mal passieren sollen! Aber es war ihm eben nicht passiert. Und es würde ihm nicht passieren. Er hatte nicht die geringste Lust auf einen vorgezogenen Ruhestand – ohne Arbeit hatte sein Leben keinen Sinn.
Gregor Kosinski schlürfte seinen Kaffee und schmierte sich mit der anderen Hand Quark auf das Vollkornbrot. Der liebe Gott hatte den Streit beendet. Und seither fühlte er sich tief beschämt. Als Beates Mutter starb und ihr Vater sie brauchte, war sie ohne ein Wort des Protestes wieder in die alte Rolle zurückgeschlüpft. Diesmal wischte sie nicht dem Kind, sondern dem alten Mann den Hintern ab. Seither hatte er nie mehr auch nur ein Wort verloren über die privilegierte Rolle nichtberufstätiger Frauen, die nur noch Däumchen drehten, sobald das Kind aus dem Haus war.
Im Gegenteil: In den letzten Monaten war in ihm die Überzeugung gewachsen, sie vor ihrem Schicksal bewahren zu müssen. Denn wenn Beate Pech hatte, würde das alles von nun an immer so weiter gehen. Ihr Vater konnte, so krank er war, noch ewig leben. Schlimmstenfalls hielt der Alte solange durch, bis schließlich der Ehemann dran war – damit sie bloß nicht aus der Übung kam. Er fand die Vorstellung gruselig – aber völlig aus der Welt war sie nicht: Er war sieben Jahre älter als sie. Alles weitere ließ sich leicht ausrechnen – Männer hatten eine im Schnitt um sechs Jahre kürzere Lebenserwartung. Unzählig viele Frauen pflegten ihre Männer zu Tode, um dann den Rest des Lebens allein zu verbringen.
Verdammt. Er rührte in seinem Kaffee und starrte in das Dämmerlicht draußen vor dem Küchenfenster. Er wollte mit Beate noch ein paar schöne Jahre verbringen vor dem unvermeidlichen Ableben. Ungebeten schob sich das Bild der alten Frau vor sein inneres Auge, die sie bei ihrem Besuch in von der Lottes Wohnung im Treppenhaus getroffen hatten. Michael und er waren wahrscheinlich die einzige Abwechslung gewesen, die sie seit ewigen Zeiten gehabt hatte. Warum nahmen sich Frauen nicht einfach jüngere Männer? Dann hätten sie ihrerseits jemanden, der sich im Alter um sie kümmerte. Ob Männer dazu talentiert waren? Er hatte da seine Zweifel. Und plötzlich überkam ihn die schreckliche Idee, daß viele Frauen es womöglich gar nicht erwarten konnten, endlich den Alten vom Halse zu haben. Was das für seine und unzählig viele andere Ehen bedeuten mochte? Bloß nicht dran denken.
Kosinski griff nach Beates Zigarettenschachtel – ein Übergriff, den sie mit hochgezogenen Augenbrauen quittierte. Selbst für diesen uralten Streit – »rauch gefälligst deine eigenen Zigaretten!« war früher der häufigste ganze Satz am Frühstückstisch gewesen – war sie heute zu müde. Statt dessen hielt sie ihm die Zeitung hin.
»Lokalteil«, sagte sie. »Erste Seite.«
»Bekannter Weinkritiker schwer verletzt«, las Kosinski vor. Schwer verletzt – na ja. Vitale Organe hatte der Täter nicht getroffen, der Anschlag auf Panitz war halbherzig und kraftlos ausgeführt worden und die Waffe nicht gerade zweckgeeignet gewesen. Dafür war die Panik in
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