Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
Broadbents Erinnerungen, hatte er sich vorgenommen, mit seiner Ehefrau in jedem großen Weinberg der Welt – »Liebe zu machen«. Lotte spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Er konnte sich bis heute nicht entscheiden, was er unanständiger fand: die Tatsache selbst – oder daß der Mann so freimütig darüber berichtete.
    Ohne hinzusehen stellte er sein leeres Glas auf das Tablett, das der Kellner ihm hinhielt und ließ sich ein volles geben. Dann ging er weiter, gemessen grüßend, wenn ihm ein Gesicht vertraut vorkam. Wieder fragte er sich, was er hier eigentlich verloren hatte, inmitten dieser Versammlung von Menschen, die sich bedeutender fanden, als sie waren. Zum Beispiel Walter Prior, der abseits an der großen Säule stand und auf den hessischen Verkehrsminister einredete. Sicher, er war ein guter Winzer, der drahtige Walter Prior. Aber ein Winzer ist auch nur ein Bauer. Und warum dieser hier wohl glaubte, er könne überall mitmischen?
    Er hatte ihm das zu verstehen gegeben, einmal, vor einigen Monaten. Er schob die dünnen blonden Augenbrauen zusammen. Manche Leute waren zu einer kritischen Sicht ihrer selbst so gar nicht in der Lage. »Sie machen guten Wein, Prior.« Er hatte ihm freundlich die Hand auf den Unterarm gelegt. »Aber lassen Sie doch die Finger von der Politik! Was wir hier in Wingarten brauchen, ist kein Eisenbahntunnel, sondern die Besinnung auf Tradition und Qualität. Nichts als Qualität!«
    »Lassen Sie das mal mein Problem sein, Lotte.« Prior hatte unbewegt an ihm vorbeigeguckt und die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
    Der Winzer hatte ihn längst gesehen, machte aber weiterhin angestrengt Konversation. Lotte hob ganz leicht die schmalen Schultern und ließ sie wieder fallen. Vielleicht sollte er in seiner nächsten Kolumne über Hoffart schreiben. Und Demut empfehlen – Winzer, bleib bei deinen Reben! Das würde einige hier in Wingarten ziemlich ärgern, vor allem diejenigen, die glaubten, mit einem riesigen neuen Hotelkomplex den zu einem Rinnsal gewordenen Fremdenverkehr wieder zu einem reißenden Strom machen zu können. Was da für Bestechungsgelder geflossen sein dürften – vor allem, um den Wirtschaftsminister zur Umwidmung von Rebland in Bauland zu bewegen! Von der Lotte erwärmte sich beim Gedanken an seine Kolumne. Er war nun einmal kein Freund des Neuen – seine Leser wußten das. Und, wie er hoffen durfte: Sie schätzten das.
    »Wieder im Lande, Herr von der Lotte?« Eine gepflegte ältere Dame lächelte ihn an. Unwillkürlich zuckte seine Nase. Gotdob: kein Parfüm. Und auch kein Zigarettenduft. Er neigte zuvorkommend den Kopf und sagte »Gnädige Frau!«, während er sein Gedächtnis vergeblich nach ihrem Namen durchforstete. »Nett, Sie wiederzusehen!« Sein Erinnerungsvermögen wurde täglich schlechter. »Und so blühend!« Er leerte beherzt sein Glas, murmelte »Ich sehe, auch Ihr Glas ist leer« und sah sich suchend nach einem Kellner um. Dabei entdeckte er Christoph Corves. »Ich bin gleich wieder bei Ihnen, gnä’ Frau!« Er schob sich an ihr vorbei und drängte sich durch zu dem Winzer mit dem blonden Vollbart.
    »Wieder im Lande, von der Lotte?« fragte auch Corves, nachdem er, wie Lotte gerade noch gesehen hatte, einen schicksalergebenen Blick gen Himmel geschickt hatte. Er lächelte – Menschen wie er standen über solchen kleinen Ungezogenheiten –, stellte sich neben ihn, nickte Alain Chevaillier zu, dem Chefredakteur von »Vini DiVini« und sagte teilnehmend: »Sie sehen gefaßt aus, Christoph. Man gewöhnt sich an alles, oder?«
    Dann winkte er der Kellnerin, die mit der Champagnerflasche durch die Menge ging, und ließ sich sein Glas auffüllen.
    Der Winzer antwortete nicht, sondern schaute in die Luft. »Es kann Sie ja auch nicht mehr überraschen. August Panitz erzählt schließlich in jeder seiner Tischreden das gleiche.« Christoph Corves sagte noch immer nichts. Er sah ihn von der Seite an. Der arme Kerl hatte ganz weiße Lippen vor Zorn.
    »Er wird Sie auch dieses Mal nicht verschonen.« Er versuchte, sein ganzes Mitgefühl in diesen Satz zu legen. Letztes Mal wäre es fast zu einer Schlägerei gekommen, als Panitz auf den Weinskandal anspielte, in den Corves’ Vater verwickelt gewesen war. Es war bekannt, daß Corves junior darauf noch heute, nun ja: empfindlich reagierte. »Ich meine, er könnte ja wenigstens einmal Ihren Vater herauslassen …«
    »Seien Sie doch endlich still, von der Lotte!« Corves war plötzlich ganz

Weitere Kostenlose Bücher