Wasser zu Wein
nach links. Sie zwinkerte ihm zu.
Klar machte es gottlob kurz und übergab dann an Panitz, der seine in feines dunkles Tuch gekleidete Gestalt an den Flügel lehnte und mit sattem Lächeln seiner Stimme hinterherzulauschen schien. Von der Lotte hörte nicht hin, ebensowenig wie, wenn er richtig sah, Chevaillier. Oder Janz. Oder Broadbent, schräg rechts von ihm, an Tisch Zwei.
Er hätte auswendig dahersagen können, was Panitz bei solchen Anlässen zu predigen pflegte: wie der Wein aus der menschlichen Kultur nicht wegzudenken sei. Wie Boden, Klima, Wetter und Winzerkunst zusammenwirkten bei einem der großartigsten Geschenke der Natur. Wie es darauf ankomme, diese Kultur zu hegen und zu pflegen undsoweiterundsofort. Und, als krönender Abschluß jeder Rede: daß der Wein ein Gottesgeschenk sei und es dem Menschen nicht zustehe, der Götter Gabe zu verfälschen.
Wer es dennoch tat, war des Satans. Selten vergaß Panitz an dieser Stelle, Namen zu nennen: immer Corves, meistens auch noch Schepp und Bessenauer. Heinrich Corves senior hatte bei der Formulierung des deutschen Weingesetzes von 1971 mitgearbeitet und sich ein paar Jahre später bei einem eklatanten Verstoß gegen dessen Vorschriften erwischen lassen. Er hatte seine schwachen, sauren Weine mit Flüssigzucker versetzt, um sie aufzuwerten und in die höhere Verkaufsklasse zu bringen. Christoph Corves konnte dafür natürlich nichts. Er sah verstohlen zu ihm hinüber. Der Junge war schon wieder ganz rot im Gesicht. Er verstand dessen Bedürfnis, Panitz mal ordentlich eine zu langen. Aber heute sah es nicht nach einer Schlägerei aus. Schade eigentlich.
Dann verzog er wieder geschmerzt das Gesicht. Panitz hatte sich hoch aufgerichtet und mit der Hand auf den Flügel geklopft. Jetzt dröhnte er ins Mikrofon: »Glykol, Zucker, billiger Weinverschnitt – das alles wird der Vergangenheit angehören, sobald auch die letzten Betrüger begriffen haben, daß man ihnen auf die Schliche kommen wird. Unweigerlich. Die Sauerstoff-Isotopenanalyse deckt alles auf – ein Sieg für die wahren Freunde des Weins.«
Von der Lotte hatte von der Sauerstoff-Isotopenanalyse gehört. Theoretisch konnte man damit die Biografie jedes Weines bis zum Weinberg zurückverfolgen. Man konnte feststellen, ob man einen mit Wasser gestreckten Wein im Glas hatte oder ob in einer Flasche mit Champagner-Etikett in Wirklichkeit ein billiger portugiesischer Schaumwein steckte. Ob, was sich Chablis nannte und entsprechend kostete, eigentlich ein armseliger kleiner Mosel war. Und ob ein Winzer seine Spätburgunder allzu sehr geschönt hatte mit Dornfelder oder anderen Deckweinen.
Schön – aber ob’s was nutzte? Keine Behörde würde jede billige Literflasche aus dem Supermarkt auf ihre Herkunft überprüfen. Und Betrüger würde es immer geben – solange es intelligente Menschen gab.
Er neigte zustimmend den Kopf, als der Kellner ihm die erste Runde der zu verkostenden Weine in die Gläser goß. Ihm war schon seit einiger Zeit aufgefallen, daß man sich ziemlich viel Zeit ließ mit dem Service. Dann klappte er die Menükarte auf. Im Glas links mußte sich demnach eine 1990er Schloß Reichhartshausener Riesling Spätlese befinden und rechts ein 1992er Chartawein von Prior.
»Rieslingweine sind famose Essensbegleiter«, hörte er Alain Chevaillier sagen. »Sie werden gleich erleben, wie unnachahmlich sich das Bukett dieser Weine mit den Aromen der Gerichte vermählt.«
Von der Lotte schaute zu Susanne Eggers hinüber, die sich diese geschwollene Belehrung mit Hingabe anzuhören schien. Dann nahm er das Glas mit der Spätlese auf, schwenkte es, um dem Wein Luft zuzuführen, blähte die Nüstern, atmete den Geruch des Weines ein und nahm einen tiefen Schluck. Vorzüglich. Aber von Weinen dieser Kategorie gab es viel zu wenig – nur wenige Sommer und nur exzellente Weinlagen erzeugten in nördlichen Breiten das für solche Spitzenweine nötige Mostgewicht. Die meisten Winzer hatten Hektoliter von saurem Zeug im Keller. Zuckern half natürlich – außerdem erhöhte es den Alkoholgehalt und damit die Klasse des Weines. Was für eine Versuchung! Ob ein bloßer Qualitätswein als Prädikatswein wieder aus dem Keller kam, schlug sich in Heller und Pfennig nieder. Nicht nur Corves senior hatte nicht widerstehen können.
Unter dem Beifall des Publikums kehrte Panitz zum Tisch zurück. Er setzte sich, breitete die leinene Serviette auf seinem Schoß aus, hob das Glas mit der Reichartshausener
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