Wasser zu Wein
beherrschte das Spiel scheinbar mühelos: Eben noch hatte er den gebildeten Weinkenner gegeben, jetzt machte er den Genußtrinker mit Hang zu volkstümlichen Kalauern. Sein Publikum ging begeistert mit. »Großen Weinen muß man sich nähern wie schönen Frauen – auf den Knien, meine Herren!« Bremer schüttelte sich. Aber der weißhaarige Herr neben ihm strahlte und küßte die Hand seiner nicht wesentlich jüngeren Begleiterin.
Panitz genoß den Applaus sichtlich und kehrte mit beschwingtem Schritt wieder an seinen Sitzplatz zurück. Zu den beiden Weinen, die jetzt alle zum Vergleichen im Glase hatten, war ihm, fand Bremer, nicht sonderlich viel eingefallen.
Er hatte sich immer schon gefragt, welches Publikum sich bei einem der zahllosen Galadiners versammelte, auf denen die Frage erschöpfend behandelt wurde, welcher Wein zu welchem Essen paßte. Daß so viele der berühmten Wein-Eminenzen anwesend waren – nun, das mochte damit zusammenhängen, daß alle gemeinsam vorher die große Weinauktion besucht hatten. Aber die zahlenden Gäste? Waren das Laien, gehobene Laien oder Kenner? Die meisten hier waren in einem Alter, in dem man sich hatte Sachverstand antrinken können – wenn man das nötige Kleingeld besaß. Ausgerechnet die aber sogen jedes Wort des Großkritikers Panitz gläubig auf. Die wenigen Jungen hingegen hörten nicht hin. Er grinste zu den beiden Blondschöpfen am Nebentisch hinüber, die mit großem Ernst die jeweiligen Vorzüge von Lage und Jahrgang der beiden Weine diskutierten, die sie im Glas hatten. Die mußten nicht mehr viel lernen.
Er ließ sich umfangen vom sanften Licht, von den warmen Farben der Holzpaneele und Wandbespannungen, vom Klirren der Gläser um ihn herum, vom Murmeln zwei Stühle weiter.
»War der Frickenhäuser Kapellenberg nicht ein bißchen platt?«
»Platt würde ich nicht sagen. Er könnte vielleicht ein bißchen spritziger sein.«
»Er schmeckt ältlich, finde ich.«
Er hob das Glas und probierte. Das Urteil war nicht ganz gerecht. Aber nah dran.
Zufrieden lehnte er sich zurück. Das Ölgemälde an der Wand links von ihm zeigte einen ehrwürdigen Patriarchen, den Gründer des Hauses. Daneben und darunter hatten die Klars alte Menükarten gehängt, Gruppenfotos vom Personal aus vergangenen Tagen, Ansichten der »Traube« zu Pferdekutschenzeiten, vergilbte Fotos, auf denen Schauspieler, Dichter, Sänger mit schwungvoller Widmung für schöne Stunden dankten.
Durch das große Fenster aus bleigefaßtem Glasmosaik fiel ein letzter Schimmer Abendlicht. Die Klars hatten nicht wenig vom alten Glanz in die Moderne hinübergerettet, aus der Zeit, als Rheingauer Riesling noch als der beste Wein der Welt galt. Bremer steckte die Nase ins Glas mit dem Rüdesheimer Berg Schloßberg. Sekundenlang hielt er es nicht für unmöglich, daß diese Zeit wiederkommen könnte – wenn alle Winzer sich an so hohe Qualitätsansprüche halten würden wie Walter Prior. Strenge Beschränkung der Quantität. Ökologische Bewirtschaftung, soweit es irgend ging. Handlese im Wingert. Mehrfache Selektion. Und ein langer, kühler Gärprozeß. Den meisten Winzern war das zu zeitaufwendig. Qualität mußte man sich leisten wollen.
Er sah an den konzentrierten Gesichtern um sich herum, daß er etwas verpaßt hatte. Panitz stand am Mikrofon, schwenkte ein Glas mit einer goldgelben Flüssigkeit und hielt es ans Licht. Wie ein Vortänzer. Das Publikum folgte ihm ergeben. Er führte seine beachtliche Nase über das Glas, atmete tief ein und nahm den ersten Schluck. Alle um ihn herum taten es ihm nach. Es mußte sich, Paul vergewisserte sich in der Weinkarte, um die preisgekrönte Beerenauslese des Weinguts Blasius handeln, die man auch ihm eingegossen hatte.
Schnell hob er das Glas und nahm ebenfalls einen Schluck. Ein paar Stühle weiter hörte er ein tiefes Stöhnen. So doll ist das süße Zeug nun auch wieder nicht, dachte er und drehte den Kopf zu Tisch Eins. Alain Chevaillier, der Chefredakteur von »Vini DiVini«, hatte sich mit beiden Händen an den Hals gegriffen. Dann sackte er zur Seite. Zur linken Seite, dorthin, wo eine blonde junge Frau saß, die entgeistert zusah, wie ihm das Glas aus der Hand glitt und sich der kostbare Wein über ihr Handgelenk ergoß. »Was –«, sagte sie, als Chevailliers Kopf langsam auf ihren Oberarm rutschte. Dann schrie sie leise auf.
»Verdammt.« Hannes Janz sprang so hastig auf, daß der Stuhl nach hinten kippte. Alain Chevailliers Kinn war ihm auf die
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