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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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einer Frau. Erst sah sie ein bißchen wie seine Mutter aus. Dann wie Evchen. Und schließlich, was an ein Wunder grenzte, wie Karen.

6
    Frankfurt am Main
     
    Es war schön, so allein zu sein. Allein in einer großen, hellen Wohnung. Allein mit ein paar Krimis und dem Fernsehprogramm. Und in der Tiefkühltruhe hatte sich auch noch was gefunden – Suppe. Zwei Hühnerbeine. Eine Fertigpizza. Alles prima, alles wunderbar, dachte Karen. Und an das Gipsbein war sie fast schon gewöhnt. Mittlerweile federte sie geradezu durch die Gegend, während sie sich gestern noch gefragt hatte, wie sie wohl die Treppe hochkommen sollte. Zumal der Taxifahrer, den sie um Hilfe gebeten hatte, einer von der begriffsstutzigen Sorte gewesen war. Oder hatte der etwa geglaubt, sie wolle ihn anmachen?
    Alles war gut. Auch wenn Marion blöderweise nicht da war. Und Paul nicht ans Telefon ging. Egal – sie kam auch allein zurecht. Sie schwang sich an ihren Krücken durch den langen Flur in die Küche und schwor sich, das nie zu vergessen – wie hilflos man sich fühlte, wenn man nur ein funktionsfähiges Bein zur Verfügung hatte. Sie schwor sich, nie wieder auf Behindertenparkplätzen zu parken. Auch dann nicht, wenn es sich um gleich drei von der Sorte handelte. Und alle frei waren.
    Und niemals würde sie so rücksichtslos sein wie die junge Frau, die gestern im Krankenhaus dynamisch vor ihr her geschritten war und die schweren Glastüren, durch die sie entschwand, zurückschwingen ließ, ohne einen Blick nach hinten zu richten. Dorthin, wo Karen stand. Auf Krücken. Und fast von der Tür gefällt worden wäre.
    Sie setzte den Wasserkessel auf. Wo war Paul? Sollte sie sich Sorgen um ihn machen? Um diesen Einsiedler und Eigenbrötler? Er würde seltsam werden, wenn er nicht aufpaßte – wenn sie nicht aufpaßte. Er mußte öfter mal raus aus seinem Kuhkaff, in die Stadt, ins Leben. Er brauchte endlich eine vernünftige Frau.
    Sie kannte Paul seit der Universität – obwohl sie Jura und er Betriebswirtschaftslehre studiert hatte, zwei Fächer, zwischen denen Welten liegen. Begegnet waren sie sich im Philosophischen Seminar – beide auf der Suche nach einer Erkenntnis, die sie bei Hegel und Adorno allerdings auch nicht gefunden hatten. Vielleicht hätten sie bei Wittgenstein nachsehen sollen.
    Sie waren nie ein Paar gewesen, nie ein Liebespaar. Aber er war der einzige Mann im Leben, mit dem sie eine so lange und verläßliche Beziehung hatte. Das sollen ja die besten sein, dachte sie, die sogenannten platonischen.
    Der Himmel vor dem hohen Küchenfenster leuchtete babyblau, betupft mit Wolkenbällchen und geädert von weißen Kondensstreifen. Die Sonne spiegelte sich im Rumpf des Fliegers, der im Steigflug den Fensterausschnitt durchkreuzte, begleitet von gleichmäßigem Turbinengeräusch. Chartertag. Heute war Sonntag. Da hoben sie am Rhein-Main-Flughafen im Minutentakt ab.
    Das Wasser kochte fast, als das Telefon sich meldete. Mit einem häßlichen Geklapper fielen die beiden Leichtmetallkrücken zu Boden, als Karen nach ihnen greifen wollte. Wo war das Telefon, verflixt? Auf dem Küchentisch, unter dem Topflappen. Sein Schrillen hatte ihren Puls hochgetrieben. Sie hatte gar nicht gewußt, daß sie so sehnsüchtig auf etwas wartete. Auf jemanden. Auf irgend jemanden.
    »Wehe, du legst auf, wer immer du bist.« Endlich fand sie die Krücken, stemmte sich hoch und schwang sich zum Telefon. »Ja?« sagte sie atemlos.
    »Karen?«
    »Wo warst du, verdammt?«
    »Hast du mich vermißt?« Was lachte der blöde Kerl auch noch.
    »Vermißt? Gebraucht habe ich dich!«
    »Was ist denn los, um Himmels willen?« Sofort klang Paul besorgt.
    Sie lachte. »Beruhige dich sofort wieder. Es ist nichts. Ich bin nur in der Scheiße gelandet.«
    »Ist das was Neues?«
    »In der Hundescheiße. Beim Joggen. Ausgerutscht, hingefallen, Bein gebrochen, Gips dran, okay?«
    »Okay. Ich hol dich ab.« Paul klang nicht mehr besorgt, sondern entschlossen.
    »Wohin?« Es war ihr fast egal.
    »Nach Wingarten – du wirst gebraucht.«
    »Herrscht dort ein rundum behindertenfreundliches Klima?«
    Er lachte. »Eher weniger. Aber ich kann dich mit einem netten Rollstuhlfahrer bekannt machen.«

7
    Wingarten am Rhein
     
    Wie gut es ihr tat, ihre schöne, helle Westendwohnung zu verlassen – ihre Luxusfalle. Karen lehnte sich in die Autopolster und ließ sich den Wind durch die roten Haare wehen. Paul hatte das Verdeck des Kabrios zurückgeklappt. Es roch nach Auspuffgasen

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