Wasser zu Wein
verlegen gegrinst, war aber folgsam gewesen. Paul schob summend sein Fahrrad aus dem Hausflur. Er war froh, daß sich jemand um den alten Herrn kümmerte.
Hinter Wingarten stieg er auf und fuhr den steilen, asphaltierten Weg in die Weinberge hoch: mitten durch die Steilhänge über dem Rhein, an Zeile um Zeile von Rieslingreben vorbei. Unten schimmerte die Sonne auf dem silbern geschuppten Fluß und brachte die weißgetünchte Kapelle am anderen Ufer zum Leuchten. Er kletterte im kleinsten Gang den Weg hoch, unter der Seilbahn hindurch, dem Wäldchen auf der Bergkuppe entgegen.
Am Hexenstein stieg er ab und setzte sich auf die Bank an der Balustrade. Hier war schon immer sein Lieblingsplatz gewesen, hier, wo der Blick alles umfaßte: den Fluß und die Stadt, die weißen Touristendampfer auf dem Strom, die dunkle Burgruine, die gleißende Gischt an den Stromschnellen. Im festgetretenen Sand zu seinen Füßen alterten Zigarettenstummel und Kronkorken. Ausgerechnet von Bierflaschen.
Er hörte, wie ein Trecker den Berg hoch keuchte. Die Bremsen quietschten und mit einem letzten Schuddern setzte der Motor aus. »Verdammt«, sagte es hinter ihm. Bremer drehte sich um. Der Mann in einer von unzähligen Waschgängen taubenblau gewordenen Arbeitsjacke zog sich die Mütze vom Kopf und kratzte sich am Hinterkopf.
»Fritz!« rief er.
Es dauerte eine Weile, bis der Winzer ihn wiedererkannte und das dunkle Gesicht in Dackelfalten legte. »Paul! Auch mal wieder im Land?«
»Siehst ja.«
»Und wie?«
»Schon. Und du?«
»Ajoo.« Fritz kratzte sich wieder am Hinterkopf. »Ist ne Weile her, was?«
Bremer nickte.
»Was machstn so?«
»Nu ja.« Paul hob die geöffneten Hände.
Fritz räusperte sich und spuckte aus. »Ob das noch mal was wird?« Er schien auf den Himmel zu deuten, über den sich ein milchiger Schleier breitete. Aber er konnte auch die Gesundheit oder das Leben im allgemeinen meinen.
»Das wird schon!« sagte Paul.
Fritz nickte. »Na denn.«
»Na denn.« Es dauerte mindestens zwei Minuten, bis der Winzer seinen Trecker wieder in Gang gebracht hatte.
Nach einer Weile stand Bremer auf und fuhr weiter. Hinter der nächsten Biegung mußten sie liegen, Frieder Wallensteins Weinberge, gleich hinter dem Wegkreuz mit der Madonna und dem ewigen Licht, vor dem ein Rosenbusch wuchs. Er bremste, stieg ab und lehnte das Rad an einen der schrägstehenden Holzpfähle. Zwischen diesen Pfählen verlief der Draht, an den, nach dem Schnitt, der Haupttrieb der Rebe angebunden wurde. Der Wingert war gut gepflegt – Janz gab sich alle Mühe, obwohl Wallenstein das nie mehr würde überprüfen können. Aber man schmeckte es – spätestens im Keller. Plötzlich war er dem Kellermeister dankbar. Wenn in Wallensteins Keller nicht Jahr um Jahr neuer Riesling gären würde, wäre eine Epoche zu Ende.
Bischofsberg und Rosenpfad lagen windgeschützt in einer Art Bucht, die der Berg an dieser Stelle beschrieb. Sie lagen hoch, aber nicht zu hoch. Genug Wärme konnte aufsteigen vom großen Fluß, der sich hier gabelte. Paul kletterte vorsichtig den steilen Hang hinunter. Drüben, hinter der Gabelung, sah man die alte römische Brücke. Die Römer hatten den mettrinkenden Germanen den Wein gebracht. Das mußte man ihnen hoch anrechnen.
Auch die amerikanische Besatzungsmacht, fast zweitausend Jahre später, hatte sich verdient gemacht. Sie hatte Coca-Cola und die Demokratie dagelassen und den Wingartener Winzern eine große Zeit beschert. Jahrelang hatten sich viele eine goldene Nase verdient mit den Strömen schlechter Weine, die man ahnungslosen amerikanischen Soldaten und Touristen auf der Winzergasse ausschenkte.
Mein erster Neger. Bremer kicherte. Der erste Schwarze, den er jemals gesehen hatte, trug einen Tirolerhut und einen Spazierstock, auf den viele bunte Plaketten genagelt waren, sang Unverständliches und schwenkte dabei einen kleinen graublauen Weinkrug.
Diese Zeiten waren vorbei; den großen Reisebussen entstiegen heute überwiegend Rentner auf Kaffeefahrt, und mehr und mehr Winzer machten Weine, die für den Massentourismus nicht mehr erschwinglich waren.
Er setzte sich an den Hang zwischen die Rebstöcke und dachte sich zweitausend Jahre zurück. Tausend Jahre zurück. Hundert Jahre zurück. Schwarze Schafe hatte es immer gegeben und würde es immer geben. Aber wenn etwas in Deutschland großartig war, dann das hier: die uralte Kultur des Weinanbaus.
Er schloß die Augen in der Frühlingssonne. Und träumte von
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