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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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abgesessen. Die Tochter des einen ist in der Irrenanstalt gelandet.«
    »Und welche Leichen hast du im Keller?« Erstaunt sah er, daß der alte Mann blaß wurde.
    »Ich weiß nicht, ob ich wen auf dem Gewissen habe.« Wallenstein guckte wieder aus dem Fenster. »Ich hoffe nicht. Ich hoffe bei Gott nicht.«
    Paul schüttelte den Kopf und stand auf. »Kein Wunder, daß ihr hier alle erst auf den Autopsiebericht wartet, bevor ihr einen harmlosen kleinen Herzinfarkt auch als solchen akzeptiert! August jedenfalls hat sofort geglaubt, Alain Chevaillier sei vergiftet worden – und eigentlich sei er die Zielscheibe gewesen, weil Chevailliers Nachtisch ursprünglich für ihn bestimmt war.« Er fand die Vorstellung noch immer absurd.
    »Mach keine Scherze, Paul. Weinkritiker entscheiden mit ihrem Urteil über die Existenz eines Winzers. Panitz hat sich sehr unbeliebt gemacht bei den Leuten hier. Und er macht sich immer unbeliebter. Mittlerweile hat er alle gegen sich.«
    »Wer erstklassige Weine macht, hat seine Angriffe nicht zu befürchten.«
    »Natürlich nicht. Es sind die Winzer, die auf bloße Quantität setzen, die damals wie heute in Versuchung geraten, ein weniger gutes Ergebnis im Wingert später im Keller zu korrigieren. Panitz attackiert die kleinen Leute – und nicht zuletzt diejenigen, die sich für das geplante Hotel am Titusborn engagieren. Die glauben mittlerweile, daß Panitz ihren Ruin will.«
    Paul hatte davon gelesen. Eine Gruppe von Winzern hatte sich zusammengetan, um ihre Wingerte in der Weinlage Titusborn, direkt neben der Spitzenlage Frauenlob, in Bauland umwidmen zu lassen. Dafür bekam man wesentlich mehr Geld als für den Verkauf eines unlukrativen Weinbergs. Das Konsortium, das dort einen großen Hotelkomplex errichten wollte und dafür mit dem Argument warb, so komme endlich wieder Tourismus nach Wingarten, hatte ihnen ein besonders gutes Angebot gemacht. Gegen diese Pläne hatten namhafte Weinkritiker und bekannte Winzer öffentlich protestiert – darunter Panitz und Prior, Chevaillier und Müller-Dernau. Man dürfe das Kulturgut, das ein Weinberg in bester Lage darstelle, nicht egoistischen Einzelinteressen opfern, hatte es in dem Aufruf geheißen. Insofern konnte etwas dran sein an Augusts Vermutung, irgend jemand habe es auf Weinkritiker abgesehen …
    »Und jetzt ist Panitz dabei, auch noch unsere Winzerelite zu vergrätzen. Die haben keine Lust mehr darauf, immer wieder mit den alten Geschichten traktiert zu werden. Die wollen, daß man ihre Leistung würdigt. Und genau die reden plötzlich wieder von einer natürlichen Solidarität aller Weinproduzenten, die man sich nicht kaputtmachen lassen wolle durch Elitedenken. Corves hat sich an die Spitze der Bewegung gestellt.«
    Aha. Das erklärte die Zusammenrottung der Winzer gestern unter der Führung des grimmigen Corves. »Und du? Bist du für oder gegen den Verkauf des Reblandes?«
    »Um ehrlich zu sein, Paul: Ich bin mir nicht sicher.« Wallenstein seufzte tief auf. »Von schlechten Lagen und schlechten Weinen haben wir zuviel. Aber erstklassige Lagen? Wenn du die einmal bebaut hast, sind sie verloren – für immer.«
    Paul dachte an Wallensteins Weinberge, die ihm gehören sollten. Jetzt war er nicht mehr hungrig. Er war durstig.
    »Alle wollen die schnelle Mark. Fast alle.« Wallenstein ließ die erhobene Hand wieder in den Schoß fallen. »Und wer denkt schon ans Gemeinwohl, wenn ihm das Wasser bis zum Hals steht?«
    »Und deshalb …?«
    »Nein, deshalb wird nicht gleich jeder zum Betrüger. Aber« – Frieder Wallenstein schob sich mit einer ungeduldigen Handbewegung die Decke von den Knien. »Ach was – reden wir nicht mehr davon.«
    Paul stand wieder vor der Vitrine aus Birnenholz und betrachtete Wallensteins Korkenziehersammlung. Seltsames Hobby? Andere sammelten Briefmarken. Den Korkenzieher von Laguiole mit dem Rosenholzgriff hatte er immer schon geliebt. Eine Etage darüber standen zwei Römerpokale, vier Bordeaux-Gläser und die Probiergläser, mit denen sie früher immer in den Keller gezogen waren.
    »Trinken wir einen?« fragte er.
    »Vinum delectat et laetificat cor hominum« , antwortete Wallenstein fromm.

5
    Paul hatte einen sitzen, als er sich von Wallenstein verabschiedete, obwohl es erst mittag war. »Herr Wallenstein muß jetzt essen.« Agata war richtig energisch geworden, als er zum dritten Mal in den Keller gehen wollte, um eine Karaffe Wein zu holen. »Und danach ist Mittagsschlaf!« Der Großonkel hatte

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