Wasser zu Wein
nie wieder zur Weinprobe!«
»Was Alain zuletzt zu sich genommen hat, war mein Nachtisch.« Panitz reckte das Kinn vor wie eine Bulldogge.
»Davon möchte ich erst recht nichts mehr hören!« Sebastians Stimme kletterte immer höher. »Willst du auch noch unsere Küche in Verruf bringen? Solche Gerüchte können mich ruinieren!« Er rang die Hände. »Ich mag gar nicht daran denken, was von der Lotte ausbrütet.«
»Die Wahrheit muß raus.«
Hört, hört, dachte Paul. Das ist das Pathos des Überzeugungstäters. »Kann mir mal einer erklären, worum es eigentlich wirklich geht?« fragte er.
»Um eine Obsession!« rief Klar.
»Um die Wahrheit«, sagte Panitz. »Ich behaupte, daß alle – fast alle – in Wingarten mehr oder weniger mitgemacht haben bei den großen Weinskandalen damals. Einige haben büßen müssen – der alte Corves und die beiden Bessenauers. Heinrich Corves hat sich umgebracht, die Brüder haben ihre Strafe abgesessen. Aber all die anderen Nutznießer laufen noch heute frei herum und tun so, als ob sie das neue deutsche Weinwunder erfunden hätten, schwafeln von Ökologie und ›naturnahem Anbau‹.«
»Und was hast ausgerechnet du dagegen?«
Panitz schnaubte. »Nichts – außer daß es gelogen ist. ›Naturwein‹! So was gibt es nicht. Wein ist Ergebnis menschlicher Kultur. Guten Wein gibt es nicht ohne Chemie. Wer seine Trauben nicht spritzt, wird keine ernten. Wer sein Lesegut nicht schwefelt, erhält keinen Wein. Und wer die große Masse der minderen Weine nicht süßt, macht sie ungenießbar.«
»Und wo beginnt dann der Skandal?« fragte Karen von der Tür her. Panitz sprang erstaunlich behende auf, sagte »Gnädige Frau« und rückte ihr einen Stuhl an den Tisch.
»Karen Stark, Staatsanwaltschaft Frankfurt«, sagte Bremer vollautomatisch.
»Derzeit außer Betrieb.« Karen lächelte. »Aber wenn es Sie nicht stört, Herr Panitz …«
»Natürlich nicht. Die Wahrheit kann jeder wissen.« Paul hätte fast aufgelacht. Manchmal spielte August den pompösen Trottel. »Einen Skandal nenne ich, wenn einer tausende von Hektolitern Spätlese aus einer Lage verkauft, auf der höchstens ein Bruchteil dessen gewachsen ist. Wie hat er das gemacht? Er hat seine weniger begünstigten Weine mit Zucker aufgewertet und dann falsch klassifiziert.«
»Das deutsche Weingesetz nennt als unterste Klasse den Tafelwein, dann kommt der Qualitätswein, dann Kabinett und dann Spätlese. Jede nächsthöhere Stufe bedeutet auch mehr Geld«, sagte Paul. Karen wußte, was ein guter Burgunder war. Aber daß sie das deutsche Weingesetz durchschaute, bezweifelte er. Ihm war es stets ein Rätsel geblieben.
»Genau. Bis zur Stufe des Qualitätsweins darf dem unvergorenen Wein sogar Zucker zugesetzt werden. Aber danach nicht mehr. Und nie – niemals: Flüssigzucker.« Panitz guckte in die Runde, ob ihm auch alle folgten. »So steht es im Weingesetz. Weshalb es ein Skandal ist, wenn ein Mitverfasser des deutschen Weingesetzes seinen Wein mit Flüssigzucker aufwertet, obwohl ebendieses Gesetz das verbietet.«
»Heinrich Corves, der Vater von Christoph Corves, ein Winzer, mit dem Panitz offenbar eine Dauerfehde austrägt.« Bremer machte den Dolmetscher für Karen.
»Mit einem Kilo Zuckerwasser kann man schätzungsweise 46 Flaschen schlichten Tafelweins in teure Prädikatsweine verwandeln. Und da das Publikum damals auf süße Weine versessen war – heute will alle Welt ausschließlich trockene Weine, was genauso beschränkt ist – erhöhte eine solche Höherklassifizierung die Gewinnspanne enorm. Es gab kaum jemanden, der der Versuchung widerstanden hat. In zweieinhalb Jahren bis zum Oktober 1980 sind 4000 Tonnen Naßzucker allein an die Winzer von Mosel-Saar-Ruwer verkauft worden. Den Rest kann sich jeder selbst ausrechnen.«
Klar hatte eine Flasche an den Tisch geholt, setzte den Kapselschneider an und dann den Korkenzieher. Er roch erst am Korken, bevor er sich einen Fingerbreit des roten Weins ins Glas goß, es schwenkte, wieder daran roch und den ersten Schluck nahm. »August, das sind doch alles olle Kamellen«, sagte er, als er das Glas wieder abgesetzt hatte.
Panitz drehte die Flasche, so daß er das Etikett sehen konnte: »Müller-Dernau? Für dessen Spätburgunder lege ich meine Hand ins Feuer.«
Sebastian Klar guckte, als ob er »na, wenigstens etwas« sagen wollte und goß ihm ein.
Panitz hielt seine Nase über das Glas. »Und ein Skandal ist natürlich auch, was nicht nur die österreichischen
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