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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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aus ihre Gäste zuschauen konnten, wie sich der Mond im Wasser des Rheins spiegelte. Alle waren sie zu ihr gekommen, die Großen der Zeit, die Dichter, Denker und Genießer. Er hatte schon oft in den drei dicken Gästebüchern geblättert, die sie angelegt hatte. 40 Jahre lang hatte Fürstin Amalie auf Monrepos empfangen – Goethe und Uhland waren hier gewesen, Heinrich Heine und Clemens Brentano, Felix Mendelssohn und Niccolò Paganini. Unter diesen Großen hätte er sich wohlgefühlt, wäre er bei seinesgleichen angekommen, bei sensiblen Geistern von innerem Adel. »Innen wie außen«, murmelte er und registrierte erstaunt die Frau, die ihm offenbar schon eine ganze Weile eine Reihe von gefüllten Weingläsern auf einem silbernen Tablett offerierte und dabei verlegen lächelte. »Winkeler Jesuitengarten von 1992«, sagte Agata ungefragt, »aus der Methusalem.«
    Er nickte knapp, nahm sich ein Glas und sah zum großen Tisch hinüber. Normalerweise genoß er das Spektakel, wenn aus den großen Flaschen ausgeschenkt wurde. Man hievte sie mit vereinten Kräften auf den Tisch und praktizierte sie dann in eine Art Schaukel, mit deren Hilfe sie vorsichtig nach vorne gekippt wurden. Dann wurde der Wein in Karaffen abgefüllt, es war viel zu mühevoll, die gigantischen Flaschen für einzelne Gläser zu bewegen.
    Heute aber wollte er bei sich bleiben, in seiner Welt, in Amalies Welt. Sie waren verwandte Seelen, er und die Fürstin, dachte er, als er um die Ecke bog, in den zweiten Teil des L-förmigen Raums. Hier war niemand, alle waren im vorderen Teil. Niemand störte ihn bei seinen Gedanken. Bei seinen Träumen.
    Ja, dachte er beim Anblick der riesigen Feuerstelle mit den gußeisernen Kaminplatten, er hätte damals leben sollen. Er hätte gepaßt zu den gepflegten Plaudereien am Kamin. Er hätte mit den Damen gescherzt und ihnen galant die Flügeltür zum Balkon aufgehalten.
    Es war eine Schande, wie man auch dieses schöne Fleckchen hatte verkommen lassen. Die Flügeltür war nur heute, nur ausnahmsweise geöffnet, sonst war sie sorgfältig verriegelt. Denn der kleine Balkon, der Söller, zu dem sie führte, war mit dem bloßen Auge als baufällig zu erkennen. Von diesem Austritt aus ging es gerade hinunter, mindestens fünf Meter tief, auf die große Aussichtsterrasse. Das feine, brüchige Eisengitter mit seinen stilisierten Lilien und rankendem Weinlaub würde niemanden schützen, das kann man wegpusten, dachte er und ging durch die Tür.
    Der Blick war atemberaubend. Man sah auf die sonnenbeschienene Kapelle am gegenüberliegenden Ufer des Rheins. Rechts, wenn man sich ein wenig vornüberbeugte, konnte man die besten Weinlagen der Region sehen und, ganz hinten am Horizont, den schartigen Turm einer anderen Burg. Er senkte seinen Blick. Unten, auf der Terrasse unter ihm, traten sich buntgekleidete Touristen gegenseitig auf die Füße und tranken Ausschankwein. Maximilian von der Lotte seufzte tief und nahm resigniert Abschied von Fürstin Amalie und ihresgleichen. Dann führte er sein Glas zur Nase.
    Der Geruch prallte ihm entgegen wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Geruch, wie er widerwärtiger nicht sein konnte – ein Geruch, der sich nahezu jeder Beschreibung entzog. Es roch scharf und muffig zugleich, holzig, chlorig, schimmelig. Es gab nichts Schlimmeres auf der Welt. Er reagierte sofort. Er schüttete den Wein in weitem Bogen vom Balkon, ohne darauf zu achten, ob unten jemand stand. Die Vorstellung war zu schrecklich: eine ganze Flasche, eine Methusalem, also sechs Liter des köstlichen Weins, verdorben, verseucht, verschwendet! Er krümmte sich bei diesem Gedanken. Wer schenkte auf einer Weinprobe Wein mit Korkfehler aus? Das mußte doch jemandem aufgefallen sein! Gab es denn nur Banausen auf dieser Welt? Fast wären ihm die Tränen in die Augen gestiegen – aus gerechtem Zorn und frustrierter Erwartung zugleich.
    Dann straffte er sich. Er würde wie ein Racheengel in die Versammlung da vorne fahren und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Schon wollte er sich umdrehen, als er ein Rascheln hinter sich zu hören glaubte. Dann ein Glucksen. Dann spürte er einen kalten Windhauch. Und dann fühlte er sich plötzlich unwiderstehlich nach unten gezogen, nach unten, kopfüber nach unten. Nein! dachte er. Das »Hilfe!« das er noch hatte rufen wollen, formte sich nur noch in vagen Umrissen in seinem Hirn, bevor es verlöschte.
    Maximilian von der Lotte vollzog einen halben Salto in der Luft, prallte mit dem

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