Wasser zu Wein
Spätburgunder. Der Mann muß viele gute Freunde haben, dachte Lotte mit einem Anflug von Wehmut.
Er studierte sein verzerrtes Spiegelbild in der blankpolierten, von einem Kerzenleuchter angestrahlten Salmanazar, die in der Mitte des Tisches stand und leider leer war, und korrigierte den Sitz seiner Fliege. Er persönlich empfand den Wunsch nach großen Flaschen als ganz und gar nicht exzentrisch. Sicher: Man brauchte viele Mittrinker, denn der Wein in einer einmal angebrochenen großen Flasche verdarb fast genauso schnell wie in einer kleinen. Von dieser Kleinigkeit abgesehen aber waren große Flaschen nicht nur schön, sondern auch ökonomisch. In großen Flaschen hielten sich gute Weine länger.
»Ein Gag. Eine Marotte«, sagte hinter ihm eine Männerstimme in abschätzigem Ton.
Fast hätte er sich umgedreht, um dem Ignoramus eine Predigt zu halten. Aber das war Panitz’ Spezialität – und, wie er aus Erfahrung wußte, verlorene Liebesmühe. Dabei war das Prinzip ganz einfach: Die Schwachstelle in jeder Flasche war der Flaschenhals, denn dort geriet der Wein in Kontakt mit dem für den Alterungsprozeß zuständigen Sauerstoff. In einer 6-Liter-Flasche aber hatte der Flaschenhals einen nur geringfügig größeren Durchmesser als in einer normalen Flasche. Die Folge: weniger Sauerstoffkontakt für mehr Wein. Das verzögerte die Nachreife des Weines und verlängerte seine Haltbarkeit.
Vor einer Jeroboam mit Müller-Dernaus 1994er Spätburgunder Goldkapsel wiegte er andächtig den Kopf. Nichts befriedigte ihn tiefer, als wenn das Nützliche auch noch schön war.
Er war so in seine Betrachtung von Größe und Schönheit versunken, daß er beinahe Walter Prior freudig angestrahlt hätte, als der ihm eine Flöte mit Sekt in die Hand drückte. Gerade noch rechtzeitig bremste er seine Gesichtszüge und neigte nur gemessen den Kopf. Für übertriebene Herzlichkeit war kein Anlaß. Dann setzte er sich zu seinem Rundgang in Bewegung.
Auch heute wieder waren sie alle gekommen – der ganze Wanderzirkus hatte sich versammelt. Panitz war da, neben ihm stand Janz. Und die Klars – Sebastian tat so, als ob alles in schönster Ordnung wäre, völlig ins Gespräch vertieft mit einem Mann mit kurzen weißen Haaren, Lotte war ihm doch kürzlich erst begegnet, wer war das noch gleich? Egal – vorsichtshalber grüßte er besonders höflich zu ihnen hinüber.
Unter dem hohen Fenster an der Stirnseite des Saals standen einige der Winzer um Christoph Corves geschart, sie hatten die Köpfe gesenkt, und er schien heftig auf sie einzureden. Für einen Moment fühlte sich Maximilian von der Lotte in eine andere Zeit versetzt. So, dachte er plötzlich, mochte das Volk sich zusammengerottet haben vor der Französischen Revolution. So trotzig. So bedrohlich. Und mit einem Mal hatte er Pulvergeruch in der Nase, er glaubte zu spüren, wie das ferne Echo der Revolution Burg Monrepos erreichte – schwach zwar, aber immer noch stark genug, um die Welt von Monrepos in ihren Grundfesten zu erschüttern.
Der Geist der Konspiration weht durch den Raum, dachte er und versuchte, sich unauffällig in die Nähe der Verschwörer zu bringen. Nur ein paar Schritte noch war er entfernt, als die Köpfe der Männer auseinanderstoben. Christoph Corves schaute mit zusammengezogenen Augenbrauen zu ihm hinüber. Lotte vollzog eine elegante Kehrtwende. »Man sollte sie alle im Faß ersäufen«, hörte er hinter sich sagen. Er zuckte zusammen. Und dann lachten sie, die Konspirateure, ein rauhes, ungewaschenes Verschwörerlachen.
Er leerte sein Glas in einem Zug und fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Sie hatte mehr als einen Vorteil gehabt, die Zeit, in der das Volk ehrerbietig draußen vor der Tür blieb, während Fürstin Amalie von Monrepos der Welt des geistigen Adels ein Denkmal setzte. Tiefe Sehnsucht packte ihn nach flackernden Kaminfeuern, blakenden Kerzen, gepflegter Konversation und tadellos erzogenen Domestiken, die auch ungefragt leere Gläser nachfüllten.
»Du bist eben ein romantisch veranlagter Mensch«, hatte seine Mutter immer gesagt. Wie wahr. Er fühlte sich nicht zum ersten Mal wie gefangen – gefangen im falschen Zeitalter. Das 19. Jahrhundert hätte ihm Heimat geboten – angefangen mit einem ganz besonderen Jahr. Mit 1811.
1811 hatte Amalie begonnen, die Ruine der Monrepos zum romantischen Lustschloß auszubauen, hatte zierliche Brücken über klaffende Mauerlücken legen und verwunschene Nischen bauen lassen, von denen
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