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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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eigentlich Evchen?« hatte er schließlich gefragt.
    Hannes Janz war soeben wieder zur Tür hereingekommen, eine Karaffe mit Wein in der Hand. Die beiden hatten sich angesehen, der alte Herr im Rollstuhl und der große, schlanke, etwas gebeugt gehende Mann mit der Brille, dem die ausgewaschenen Arbeitshosen ein wenig zu weit waren. Ihr war aufgefallen, wie grau die Augen von Frieder Wallenstein waren. Und wie dunkel die von Hannes Janz. Und daß der Wind wieder durch das halbgeöffnete Fenster hereingeweht kam. Und daß Janz abgearbeitete, verfärbte Hände hatte, fast schwarz waren sie von der Arbeit.
    »Was ist los?« fragte Paul. Und dann, mit Unruhe in der Stimme: »Was ist mit Eva?«
    Janz machte mit dem Ellenbogen die Tür hinter sich zu. Dann goß er zuerst Wallenstein das Glas voll, dann ihr, dann Paul. Und zum Schluß sich selbst.
    »Eva«, sagte Wallenstein. »Weißt du das denn nicht?«
    »Eva«, sagte Janz, setzte sich und nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. »Es stand in allen Zeitungen.«
    Wallenstein drehte seinen Rollstuhl leicht zum Fenster und sah hinaus. Karen glaubte, Tränen in seinen Augen zu sehen. »Eva ist der Name für das Schlimmste, was Wingarten jemals widerfahren ist.«
    Janz nahm noch einen Schluck. »Eva ist das, woran niemand hier erinnert werden möchte«, sagte er.

15
    Der Duft der blühenden Kastanien umhüllte sie, in der roten Abenddämmerung leuchtete der Fluß tief unter ihnen und ein schwacher Wind bewegte das samtige junge Weinlaub der Reben, die sich um die Pergola gewunden hatten. Sie hatten sich ganz nach vorn gesetzt im Garten des hochgelegenen Weinguts mit dem eigenartigen Namen – halb polnisch, halb italienisch –, direkt an die Bruchsteinmauer, hinter der es steil hinunter ging, Weinberg hinter Weinberg, bis zum Rhein. Neben und hinter ihnen Gläserklirren, Frauenlachen, Männerbaß, die Geräusche eben, wie sie zu einer gut besuchten Straußwirtschaft gehörten. Karen hatte ihren Winzerteller beiseite geschoben. Sie hatte keinen Appetit. Und Paul merkte man an, daß er weder wußte, wo er war, noch, was er im Glas hatte. Das war schon wieder fast leer. Wenn er so weiter macht, ist er gleich betrunken, dachte Karen. Und ich kann nicht fahren.
    »Natürlich habe ich davon in der Zeitung gelesen«, sagte er. »Es war eine gräßliche Geschichte. Aber ich hätte nicht im entferntesten gedacht, daß Evchen … Sie war mein liebster Spielkamerad.«
    Wahrscheinlich war es das beste, sich einfach zu betrinken, dachte Karen. Auch sie war schon beim zweiten Glas. Auch sie hatte die Geschichte ziemlich mitgenommen. Vorsichtig formuliert. Und es gab ja noch Taxis.
    »Ich hab mich mit Sebastian zweimal geprügelt. Ihretwegen.« Paul schaute in sein Glas.
    Am Nebentisch tagte eine feuchtfröhliche Runde. Schon zum drittenmal prostete man einander geräuschvoll zu, bei insgesamt sechs Personen klirrten die Gläser sechsunddreißig mal aneinander, hatte Karen geistesabwesend ausgerechnet.
    »Sie war so oft im Weinberg, wenn Wallenstein die Reben schnitt. Oder wenn er spritzte. Sie brachte uns das Mittagessen, wenn Lesezeit war. Und sie gab mir den ersten Kuß.« Fast hätte Karen ungeduldig reagiert. Sie kannte die Geschichte schon.
    »Sie war vielleicht das schönste Mädchen im Ort. Alle wollten mit ihr ausgehen.«
    »Was machte sie denn so – besonders?« fragte Karen behutsam.
    Paul hatte die Frage gar nicht gehört. »Evchen war völlig arglos. Sie war allem und jedem ausgeliefert«, sagte er, ohne aufzuschauen.
    Die am Nebentisch platzten vor guter Laune. Paul schien in sich zusammenzusinken. Karen schüttelte den Kopf. Das war jetzt auch nicht die Lösung.
    »Paul«, sagte sie nach einer Weile. Er sah sie nicht an. »Paul«, sagte sie, drängender diesmal. Jetzt erst hob er den Kopf.
    »Du stellst die naheliegende Frage nicht, Paul.« Karen versuchte mitleidlos zu sein. Aber der Schmerz in seinen Augen rührte sie.
    »Du meinst: Warum? Warum sie sich umgebracht hat?« Sich? dachte Karen. Wenn sie sich doch darauf beschränkt hätte!
    »Nein.« Sie drückte seinen Arm. »Warum niemand darüber reden will. Warum man sie lieber vergessen will. Warum sich alle vor ihr zu fürchten scheinen.« Auch jetzt noch – ein Jahr nach ihrem Tod.

16
    Maximilian von der Lottes empfindliche Nase zuckte. Im schmalen, dunklen Treppenhaus ballten sich die Gerüche. Er mußte sich durch eine betäubende Wolke aus Schweiß und Deodorant die ausgetretenen Steinstufen nach oben kämpfen.

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