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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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verhängt – Karen glaubte das Motiv der Filethäkelei erkennen zu können: eine mit einem überbordenden Blumenstrauß gefüllte Vase. Der Boden war aus großen, unebenen, dunkelroten Fliesen, die einen satten, speckigen Glanz hatten. Und das hohe Fenster hatte noch ein Oberlicht, das gekippt war, so daß man die Geräusche von draußen hören konnte. Kindergeschrei, Hubschrauberflappen und das durchdringende Kreischen einer Säge.
    Agata stellte eine geräumige blaue Steinguttasse und einen riesigen Zuckertopf vor Karen auf den Tisch. Den Kaffee hatte sie auf alte Weise aufgebrüht, wie es Karens Großmutter zu tun pflegte, in einer längst vergangenen Ära vor Melitta: Man goß heißes Wasser auf den gemahlenen Kaffee und ließ ihn sich setzen. »Wer hat es schwerer, der Kaffee oder der Tee?« Karen kannte den Spruch aus Kindertagen. »Der Tee muß ziehen, und der Kaffee darf sich setzen.«
    Die Frau mit dem polnischen Akzent rückte sich den Küchenstuhl ihr gegenüber zurecht. Karen spürte fast körperlich die Neugierde, die ihr entgegenschlug. »Sie wohnen in der ›Traube‹, ja?« fragte Agata. Karen glaubte einen sehnsüchtigen Ausdruck in ihrem Gesicht zu sehen. »Früher war ich da auch oft. Zum Aushelfen.«
    »Wo kommen Sie her?« Ihr fiel die seltsame Geste auf, mit der Agata sich ans Ohrläppchen faßte – an die kleine Perle, die dort befestigt war. Fast so, als ob sie sich bekreuzigen wollte.
    »Ach.« Die andere lachte. »Aus einem kleinen Dorf, weit im Osten, ganz nah bei Rußland. Da war ich schon lange nicht mehr.«
    »Lange nicht mehr«, wiederholte sie nach einer Pause, und mit einem Mal sah man die vielen weißen Fältchen in ihren Augenwinkeln.
    »Und warum arbeiten Sie nicht mehr in der ›Traube‹?« Karen hatte das für eine völlig unverfängliche Frage gehalten. Statt dessen verursachte sie einen Dammbruch. Agata schüttete ihre Seele aus, als wäre sie jahrelang verstöpselt gewesen.
    Sie hatte das alles doch nicht ahnen können! Woher hätte sie denn wissen sollen, was geschah? Daß diese Verrückte …, nein, das hatte doch niemand für möglich gehalten. Und sie hatte das Kind immer mit in die Kirche genommen, immer, wenn die Klars wieder einmal Besseres vorhatten und Bettine bei ihr abstellten. »Da war die Chefin immer zuckersüß gewesen. Und jetzt war ich plötzlich schuld an allem – ›Geh mir aus den Augen‹, hat sie geschrien.« Eine lange Strähne aus ihrem Pferdeschwanz hatte sich gelöst. Und wieder ging Agatas Hand zu ihrem Ohrläppchen. »Was kann ich denn dafür? Dabei war sie es doch, die ihre Tochter immer weggab. Damit sie ihr nicht im Wege war.«
    »Sie gab ihr Kind weg?« Das paßte nicht zum Bild der trauernden Mutter, das Karen gewonnen hatte. Andererseits – das würde vieles erklären. Es würde erklären, warum Elisabeth Klar noch immer mit einer solchen Verbissenheit zu leiden schien. Sie hatte Schuldgefühle.
    »Immer, wenn was war.« Agata klang bitter. »Weinprobe. Galadiner. Wichtige Gäste.«
    »Und jetzt …?«
    »Und jetzt darf ich gerade mal bei Weinproben auf der Burg aushelfen.« Agata goß Karen Kaffee ein. »›Warum sind Sie denn ausgerechnet nach Lambsheim in die Kirche gegangen? Hätten Sie nicht in Wingarten beten können?‹ hat sie mich gefragt. Als ob sie nicht wüßte, daß es in Wingarten keine katholische Kirche gibt!«
    Agata war den Tränen nah. Gut möglich, daß auch sie sich schuldig fühlte.
    »Und – wo saßen Sie, als es geschah?« fragte Karen.
    »Hinten«, sagte Agata. »Ich sitze immer hinten. Und das Kind mußte immer nach ganz vorne laufen.« Jetzt hatte sie tatsächlich Tränen in den Augen. »Ich will doch alles sehen, hat sie immer gesagt. Die Meßdiener. Und die Kerzen. Und den Tabernakel. Und die Blumen. Und den lieben Herrgott.« Agata schluchzte auf.
    Karen legte ihr die Hand auf den Arm. »Sie können nichts dafür. Niemand wußte, daß die Frau sich zu dieser Zeit und an diesem Ort in die Luft sprengen würde.« Selbstvergessen nahm sie einen Löffel Zucker und rührte ihn in ihre Tasse.
    »Elisabeth Klar projiziert ihre eigenen Schuldgefühle auf Sie.« Agata Perski sah sie verständnislos an. Karen korrigierte sich. »Sie können beide nichts dafür.« Der erste Schluck Kaffee war abscheulich. Sie hatte vergessen, zu warten, bis der Kaffeesatz, der beim Eingießen mit in die Tasse gelangt war, sich wieder abgesetzt hatte.
    »Kannten Sie – Eva?« fragte sie schließlich.
    Agata schüttelte den Kopf. »Die

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