Wasser zu Wein
angespannte Nervosität des blonden, etwas dicklichen Mannes mit dem leicht gekränkten Ausdruck in den Augen, die er durch Zuvorkommenheit zu übertönen versuchte. Kosinski wehrte alle gastronomischen Versuchungen erfolgreich ab. Nein, er wollte keine weitere Tasse Kaffee. Nein, er wollte auch nichts essen. Auch kein »Häppchen«.
Er wollte wissen, wer von der Lotte mit einer Weinflasche erschlagen hatte. Denn daran konnte es keinen Zweifel mehr geben. Und ob Alain Chevaillier an anderen Ursachen als an einem Herzinfarkt gestorben sein konnte. Das allerdings war überaus fraglich.
Andresen hatte es vorhin mit übertriebener Geduld in der Stimme abgelehnt, Alain Chevaillier ein weiteres Mal zu untersuchen. Er sehe keinen Anhaltspunkt für Fremdeinwirkung.
»Auch nicht durch Gift?« hatte Kosinski gefragt, schon, um den Gerichtsmediziner zu provozieren. Andresen sah nie irgendeinen Anhaltspunkt. Sie spielten dieses Spielchen seit ihrer ersten Begegnung vor einem halben Jahr – Kosinski insistierte, und Andresen wiegelte ab.
»Ach, Herr Hauptkommissar, das wissen Sie doch. Es wird weniger vergiftet, als der Laie so denkt.« Charmant, daß der Arzt ihn unter die Laien zählte. »Es gibt zigtausende von natürlichen Giften. Und deren Spuren findet man nur, wenn man gezielt nach ihnen sucht.«
»Dann suchen Sie, lieber Herr Doktor.«
»Und nach was, lieber Kommissar? Und nach was?« Andresen hatte ironisch die Augen zusammengekniffen.
»Mezerein.«
»Mezerein.« Dr. Andresen hatte das Wort langsam wiederholt und dabei einen Punkt fixiert, der sich irgendwo einen halben Zentimeter links von Kosinskis rechtem Ohr zu befinden schien.
»Beeren des Seidelbast-Strauches.« Kosinski fügte ein hilfreiches »Daphne mezereum« hinzu. »Man könnte sie leicht mit roten Johannisbeeren verwechseln. Zehn bis zwölf sind für einen Erwachsenen tödlich. Der Nachtisch, den der Verstorbene kurz vor seinem Tod gegessen hat, enthielt Johannisbeeren.« In der kleinen Gehölzrabatte am östlichen Ende des Gartens der »Traube« hatte Kosinski einen Seidelbast erkannt. Daß die Pflanze giftig war, wußten vielleicht nicht alle – aber alle Eltern mit Kindern.
»Hmm«, sagte Dr. Andersen.
»Nein?« Kosinski reckte in Gedanken siegesgewiß den Daumen. Eins zu Null. Andresen war angeschlagen.
»Schon«, sagte der Arzt und kratzte sich hinter dem Ohr. »Nur kriegt man von Mezerein keinen Herzanfall. Sondern« – er hob die linke Hand und zählte mit der rechten einen Punkt nach dem anderen ab – »Schmerzen im Mund, Bauchschmerzen, Brechreiz und erst zuletzt einen Kreislaufkollaps.«
»Vielleicht war das Gift der Auslöser?«
»Schon.« Man hatte Andresen angesehen, daß er das alles für Spinnerei hielt.
Kosinski war sich nicht sicher, ob er ihm nicht eigentlich zustimmen sollte. Der Autopsiebefund von Alain Chevaillier legte eine Menge Todesarten nahe. Der Mann hatte beängstigende Leberwerte, eine entzündete Bauchspeicheldrüse und ein vergrößertes Herz. Nicht unwahrscheinlich, daß bei seinem Tod niemand hatte nachhelfen müssen. Andererseits mußte man jeder Spur nachgehen.
»Wer hatte Zugang zur Küche und vor allem zum vorbereiteten Dessert?« fragte er Sebastian Klar.
»Eigentlich – niemand.« Klar zögerte kaum merklich. »Außer dem Küchenpersonal. Und mir, natürlich.« Er griff sich nervös unter den Hemdkragen. »Und meiner Frau. Natürlich.«
Kosinski seufzte. Theoretisch hätte das Gift, so denn eins im Spiel gewesen war, auch am Tisch noch in das Dessert gelangen können. Oder, so betrachtet, in jedes andere Essen aus dem umfangreichen Menü. Ins Wein-, ins Wasserglas. Solange er nicht wußte, ob Chevaillier wirklich vergiftet worden war, hatte es keinen Sinn, der vermutlichen Verabreichungsweise eines vermutlichen Giftes nachzuforschen. Kosinski wechselte das Thema.
»Maximilian von der Lotte«, sagte er und räusperte sich.
Sebastian Klars Gesicht wurde starr. »Ja?«
»An der Tatwaffe besteht kein Zweifel.« Kosinski meinte zu sehen, wie sich die Pupillen seines Gegenübers verengten. Interessant. »Eine Magnum, aus der während der Weinprobe ausgeschenkt wurde, ein« – er blätterte in seinem Notizbuch – »1992er Riesling trocken aus der Lage Berg Schloßberg.« Er sah Sebastian Klar erwartungsvoll an.
»Und – haben Sie Fingerabdrücke gefunden?« fragte der Wirt.
»Wundert Sie das?«
Sebastian sah verunsichert aus. »Meine werden Sie überall finden. Ich habe ja meistens ausgeschenkt.
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