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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Schulhof gestanden und die Hänseleien der anderen über sich ergehen lassen.
    Bremer trat immer wütender nach den Erdbrocken. Die Alteingesessenen ließen niemanden rein. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Und einen der ihren verpfiffen sie nicht. Sie deckten einander – in jedem Dorf der Welt. In Klein-Roda hatten alle etwas geahnt, als die arme Rosi eines Morgens tot war. Aber alle hielten zusammen – niemand hätte Alfred verpfiffen.
    Bremer hatte keine Vorstellung, wer ein Interesse am Tod von Lotte haben könnte. Aber wenn es einer aus Wingarten gewesen war – dann würde man das nie erfahren.
    Ein spitzer Schrei über ihm brachte ihn zum Stehen. Er legte den Kopf in den Nacken und sah in den Abendhimmel. Im Westen, jenseits des Flusses, riß die Wolkendecke auf, die sich seit dem Nachmittag immer weiter vorgeschoben hatte, und das Rot der untergehenden Sonne färbte einen immer größer werdenden Streifen am Horizont. Über seinem Kopf, weit oben, kreisten fast regungslos zwei Greifvögel mit enormen Flügelspannen.
    Seine Wut verebbte. Warum sollte es überhaupt jemand aus Wingarten gewesen sein? In der Freß- und Sauf-Szene gab es Verrückte genug, wahrscheinlich wimmelte es dort von Wahnsinnigen, die sich nichts Schöneres vorstellen konnten als sich gegenseitig vom Leben zum Tode zu bringen. Schon die Vergabe eines Michelin-Sterns schien dort zu größeren Emotionen zu führen.
    Andere Möglichkeit: Der Mörder war ein ganz normaler Mensch, der eine unbezwingbare Abneigung gegen Feinschmeckerpäpste hatte – eine Regung, die ihm plötzlich ganz und gar einleuchtete.
    Er atmete tief ein und setzte sich auf die Treppe, die vom Feldweg aus zu den etwas höher gelegenen Lagen führte. Das Rot am Horizont war eine Schattierung dunkler geworden. Auf dem Fluß zogen zwei tief im Wasser liegende Frachtschiffe langsam aneinander vorbei. Und als ob sie das schnell noch erledigen müßten, bevor es dunkel wurde, begannen die Amseln zu singen.
    Lerchen stiegen in die Luft und schimpften, und zwischen den Rebzeilen trippelten kleine helle Vögel mit schwarzen Lätzchen und schwarzem Käppchen auf dem Kopf hin und her. Die Bachstelzen ruckten durch das feuchte Gras wie Holzentchen, die ein müdes Kind hinter sich herzog. Ständig wippte der Kopf, vor und zurück, rechts und links.
    Ein Geräusch über ihm ließ ihn aufblicken. Er sah in einen rosa Rachen mit nadelspitzen Zähnen. Dem Gähnen folgte ein Schmatzen, als der Rachen wieder zuklappte. Auf der Treppe über seinem Kopf thronte eine weiße Katze, die, wie die Bachstelzen, ein schwarzes Käppchen auf dem Kopf trug. Er lächelte sie an. Zur Begrüßung gähnte sie noch einmal und kniff dann die schräggestellten gelben Augen zu.
    Er drehte sich wieder um und starrte auf den trägen Fluß. Was Nachbars Katzen in Klein-Roda wohl machten ohne ihn? Und ohne das tägliche Dosenfutter? Die Katze über ihm jedenfalls wußte, wie man Ersatz schafft. Er hörte einen schrillen, pfeifenden Schrei und ein heftiges Rascheln. Als er sich umdrehte, sah er das Tier mit einem dunkelgrauen Fellhäufchen spielen. Die Maus, die wie ein Pingpongball zwischen den Pfoten ihres Mörders hin und her flog, brauchte lange, bis sie endlich tot war.
    Nachdem die Katze mit hochgestelltem Schwanz und auf den Boden gepreßten Vorderleib eine Weile gelauert hatte, ob sich ihr Opfer nicht doch noch einmal rühren würde, nahm das Raubtier den kleinen Leichnam zwischen die Zähne und lief an Paul vorbei die Treppe hinunter. Unten, am Wegrain, ging es weiter mit dem uralten Spiel. Immer wieder warf die Katze die tote Maus in die Luft und rieb dann mit der Wange über das weiche graue Fell. Paul hörte es krachen, als sie ihr schließlich den Kopf abbiß. Mit hin- und herfliegendem Kopf zermalmte sie den Mauseschädel, bis nach all dem Knacken und Beißen nur noch der Torso übrig war. Den schien sie erst mit herrischen Tatzenhieben wieder zum Leben erwecken zu wollen, bis er aufplatzte. Dann fraß sie das Gedärm und schließlich den Rest des Tiers – ganz und gar. Ein Mausepfötchen blieb zurück, ein Hinterbeinchen. Die Katze würdigte diesen Überrest keines Blickes, sondern lief in schnellem Trab den Weg hinunter, zum Dorf zurück.
    Entgegen seinem Willen mußte Bremer plötzlich an Eva denken – an ihren zerrissenen, zerfetzten Leib. Er spürte, wie sein Herzschlag aussetzte. Dann atmete er tief durch.
    Was hat sie dazu getrieben, dachte er. Was nur?

8
    Kosinski spürte die

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