Wasser zu Wein
Ich und die Aushilfe oder Elisabeth oder Corves oder Prior.«
Eben, dachte Kosinski. Was hatte der Mann angesichts dessen zu befürchten? Alle diese Personen hatten mit der Flasche hantiert, und bei keiner dieser Personen wäre es groß aufgefallen, hätte man sie mit der Flasche in der Hand durch den Saal in den Teil des Raumes gehen sehen, in dem von der Lotte an der offenen Balkontür stand. Aber niemand hatte etwas gesehen. Auch Klar nicht. Fingerabdrücke sagten also in diesem Fall nichts aus. Gar nichts.
Er holte geistesabwesend ein zerknautschtes Päckchen »West« aus der Sakkotasche und fingerte eine Zigarette heraus. Klar hielt ihm eilfertig das Feuerzeug hin. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Michael den Kopf von seinem Stenoblock hob. Kosinski winkte ab, steckte sich die Kippe unangezündet zwischen die Lippen, lächelte mit schmalen Lippen und sagte zu Klar: »Mein persönlicher Gesundheitsüberwachungsdienst erlaubt es nicht.« Der Wirt lächelte ebenso dünn zurück.
Er rutschte in seinem Stuhl ein bißchen tiefer und tat, als ob er nachdachte. Schon nach kurzer Zeit begann Klar, nervös mit dem Fuß zu wippen. Kosinski verlängerte die Kunstpause. Als er den anderen für mürbe hielt, sagte er: »Ich kann mir keinen Reim auf die ganze Sache machen.« Dabei blickte er Sebastian Klar hilfesuchend an. Das funktionierte normalerweise immer. Den anderen einbeziehen. Ihn im Glauben wiegen, er leiste einen wichtigen Beitrag zur Ermittlungsarbeit. Nicht wenige hatten sich dabei schon verplappert.
»Für mich ist das schrecklich«, sagte Klar statt dessen. »Ganz schrecklich.« Er setzte die Kaffeetasse klirrend auf dem Unterteller ab. »Erst Alain. Und dann Lotte. Und die Verdächtigungen in der Presse. Das ist gar nicht gut fürs Geschäft.«
Kosinski nahm die kalte Zigarette aus dem Mund und legte sie in den Aschenbecher. Klagen ist der Gruß des Gastwirts – das kannte er schon. So kam er offenbar nicht weiter.
Wieder wartete er. Und sagte dann langsam, als ob er gerade eine Eingebung gehabt hätte: »Und Ihr guter Bekannter Panitz, Herr Klar?«
Klar sah ihn verständnislos an.
»Könnte er – der nächste sein?«
»Um Himmels willen«, sagte Sebastian Klar und hatte plötzlich Farbe im Gesicht.
9
Bremer war schlecht gelaunt, als er in die »Traube« zurückkehrte. Karen war nicht auf ihrem Zimmer, was ihn plötzlich ärgerte. Und noch mehr ärgerte es ihn, als er entdeckte, daß sie bereits seelenruhig im Restaurant saß. Sie lächelte ihm entgegen und zeigte auf den freien Sitzplatz neben sich. An ihrer anderen Seite saß Panitz und sah geradezu aufreizend zufrieden aus.
Bremer zwängte sich durch die Reihen. Das Restaurant war voll bis auf den letzten Sitzplatz. Bislang hatten sich Sebastians Befürchtungen nicht bestätigt – die beiden toten Journalisten schadeten dem Geschäft ganz und gar nicht, im Gegenteil, sie belebten es ungemein. Als Sebastian von der Stirnseite des Saales her zu ihm rüberwinkte, verrenkten sich alle Gäste am benachbarten Tisch die Hälse und tuschelten. Und zu Panitz sahen vor allem die Frauen immer wieder neugierig hinüber. Prima Erlebnisgastronomie, alles in allem. Konnte man weiterempfehlen.
Als er bei den beiden angelangt war, hatte sich seine Laune nicht gehoben.
»Von der Lotte ist tot«, sagte er zu Karen, nachdem er sich gesetzt und die Serviette von seinem Teller genommen hatte.
»August hat es mir erzählt.«
August? dachte Bremer. Na da schau her. »Und ihr sitzt hier in aller Gemütsruhe …?«
Panitz lächelte ihn milde an. »Flagge halbmast wegen Lotte?«
Natürlich nicht. Sebastian war einen Obernörgler los. Und Panitz …
Panitz, merkte er zu seiner Verblüffung, Panitz flirtete mit Karen. Und die bekannte sich plötzlich zu einer Vorliebe, von der er noch gar nichts wußte. Passenderweise deckte sie sich mit Panitz’ Neigungen: Beide sammelten Langspielplatten. Seit wann kannte sich Karen mit Schellack und Vinyl so gut aus? Und warum hatte sie dieses seltsame Hobby all die Jahre vor ihm verborgen?
»Es ist einfach ein ganz anderer Raumklang.« Panitz hatte seine Stimme mit Andacht gepolstert.
Karen lächelte wissend. »CDs verderben das Gehör. Wirklich authentischer Klang ist nur von Langspielplatten zu erwarten.«
»Die Callas«, sagte Panitz. »Natürlich habe ich die wichtigsten Aufnahmen auf CD. Aber vergleichen Sie Manon Lescaut –«
» Sola, perduta, abbandonata. Ich persönlich mag die Aufnahme von 1953 am
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