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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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nicht. Er wollte nicht an Sebastian und Elisabeth denken und an den Schmerz, den sie empfinden mochten.
    »Auch sie haben ein Kind verloren.« Karen nahm keine Rücksicht auf seinen Wunsch nach Verdrängung. »Eva hat ihnen angetan, was ihr selbst widerfahren war. Sie hat ihnen das Kind genommen.«
    Als ob sie seinen Widerstand spürte, legte sie ihm plötzlich die Hand aufs Knie. Wie aus weiter Ferne registrierte er, daß sie sich den Lack von den Nägeln entfernt hatte. Er hatte Karen Stark seit Jahren nicht mehr ohne rotlackierte Fingernägel gesehen.
    »Vielleicht war Eva ein Opfer. Aber ganz gewiß war sie auch eine Täterin.«
    Quatsch, hätte er am liebsten gesagt. Aber urplötzlich konnte er sich diesem ernüchternden Gedanken nicht mehr entziehen: Wie egoistisch doch die Trauer war, die Eva Lambert dazu gebracht hatte, bei ihrem freiwilligen Gang aus dem Leben so viele andere, unbeteiligte Menschen mitzunehmen. »Wenn ich gehe, nehme ich ein paar mit – und zwar die Richtigen. Eigentlich sind das Gangstermethoden.«
    Karen sah ihn von der Seite an. »Hat sie denn die Richtigen mitgenommen?«
    »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht. Ganz sicher nicht.«
    »Wofür hat sie sich gerächt?« fragte Karen neben ihm. »Und an wem?«
    Er wünschte, sie würde aufhören damit. Er wollte es nicht wissen.
    »Warum hältst du so verbissen an ihrer Unschuld fest, Paul?« fragte Karen nach einer Weile leise. Er antwortete nicht. Hätte sie das verstanden, wenn er gesagt hätte: »Weil ich selbst nicht schuld sein möchte?« Am Tod seiner Mutter hatte er sich immer schuldig gefühlt – nur so hatte er sich als Kind erklären können, warum sein Vater ihn verstoßen hatte. Es war eine Schuld, die ihn sein Leben lang geplagt hatte. Am Tod seines Kindes fühlte er sich ebenfalls schuldig. Es war wie eine Verwünschung. Und es schien sich zu wiederholen, immer wieder.
    Seinem Gefühl nach hatten sie unendlich lange nebeneinander gesessen und geschwiegen. Irgendwann einmal fragte Karen: »Woran ist sie eigentlich gestorben – deine Mutter?«
    »An meiner Schwester.« Seine Stimme zitterte.

13
    Sebastian Klar hatte Herzrasen. Und einen trockenen Mund. Er preßte sich die Faust auf den Rippenbogen, dort, wo er sein Herz vermutete. Das half wenig. Er atmete tief aus. Und wieder ein. Auch das nützte nichts. Sein Herz stolperte sich durchs Leben, als ob es brechen wollte. Und starb an gebrochenem Herzen, dachte er und versuchte sarkastisch zu grinsen. Aber seit dem Streit mit Elisabeth heute morgen gehorchten ihm seine Gesichtszüge nicht mehr.
    Klar rang um Fassung. Er konnte es sich nicht leisten, Gefühle zu haben. Denn auch heute mittag war das Restaurant wieder ausgebucht. Er schloß die Terrassentür – ihn fröstelte. Es regnete zwar nicht mehr. Aber es war auch nicht mehr warm genug für geöffnete Fenster und Türen.
    »Alles in Ordnung«, flüsterte er sich zu. »Alles in schönster Ordnung.« Ordnung half. Tägliche Routine half. Kontrolle half. Er kontrollierte alles und jeden. Die Küche. Seine Angestellten. Jeden einzelnen Tisch im Restaurant. Das war sein Credo. Das war sein Metier.
    Seit ewigen Zeiten schon war er ein gläubiger Anhänger der Dominotheorie. Damit hatten die Amerikaner einst ihr Engagement in Vietnam begründet: Die Dominotheorie besagte, daß, wenn ein Stein einmal ins Kippen geraten war, alle anderen Steine wie eine unaufhaltsame Lawine ebenfalls umfallen mußten. Und dann: ade, westliche Zivilisation mit all ihren Errungenschaften wie Klimaanlagen, freien Wahlen und Premier Crus. Deshalb mußte man mit eiserner Faust festhalten, was man hatte. Für die Gastronomie übersetzt hieß die Dominotheorie: Gib nie die Kontrolle ab. Sei wachsam. Und laß keine noch so kleine Schlamperei einreißen – sonst ist der Niedergang programmiert.
    Er nahm ein Weinglas von Tisch Nr. 6 und hielt es ans Licht. Wie oft hatte er das schon gesagt vor versammelter Mannschaft! Jedes Glas muß nachpoliert werden, bevor es auf den Tisch kommt! Jedes! Und jedes Messer, jede Gabel, jeder Löffel. Er stellte das Glas wieder an seinen Platz und knipste ein verblühtes Stiefmütterchen aus der Blumendekoration. Und keine duftenden Sträuße auf den Tisch! Seit von der Lottes erstem Auftritt in der »Traube« vor einigen Jahren sollte das eigentlich jedem aus seiner Mannschaft ins Gedächtnis gebrannt sein. Nur in der für die Tischdekoration zuständigen Gärtnerei begriff man das nicht immer.
    Dabei kam es auf jede

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