Wasser zu Wein
gelegt.
»Erst hat sie allein gespielt. Später müssen wohl ein paar andere Kinder hinzugekommen sein. Ich habe nicht darauf geachtet.« Wallenstein schüttelte den Kopf. »Ich hab es erst gemerkt, als es schon zu spät war.« Er hob die Hände mit den langen Fingern und ließ sie wieder auf die Armlehnen seines Rollstuhls sinken.
»Ich habe Evchen schreien hören. Das Kind kam völlig durchnäßt auf mich zugelaufen. Und dann sah ich das Malheur.«
Wallenstein griff nach dem Glas Wasser, das neben seinem Stuhl auf einem Tischchen stand.
»Ich Idiot hatte einen Kanister mit Spritzbrühe oben am Wegkreuz stehengelassen. Die kleinen Verbrecher haben das Kind damit von oben bis unten naßgespritzt. Und sie hat sich nicht gewehrt.«
»Hatte sie – Vergiftungserscheinungen?« fragte Karen.
Wallenstein hob die Hände. »Ich weiß es nicht. Ich bin mit dem Kind unter dem Arm runtergelaufen und habe sie unter die Wasserpumpe gestellt.«
Unwillkürlich mußte Paul lächeln. Sie hatte wahrscheinlich Zeter und Mordio geschrien.
»Gab es denn – Symptome?« fragte Karen wieder.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Wallenstein. »Man weiß so wenig über die Spätfolgen …« Er nahm noch einen Schluck Wasser.
»Und was waren das für andere Kinder, die sie gequält haben?«
Wallenstein antwortete nicht. »Vielleicht«, sagte er nach einer Weile und wand sich in seinem Rollstuhl, »kamen daher die Depressionen? Die Schwermut?« Sein ganzer Körper schien zu fragen: »War ich schuld?«
So ein Unsinn! hätte Paul am liebsten gerufen. Andererseits: Pflanzenschutzmittel konnten gravierende Langzeitfolgen haben. Das wußte man.
Hannes Janz räusperte sich. »Es war die Müller-Clique. Alain Chevaillier war dabei. Und Christoph Corves. Und ein paar andere aus der Rasselbande.«
Bremer sah zu Karen hinüber. Sie runzelte unschlüssig die Stirn und biß sich auf die Unterlippe. Plötzlich schüttelte sie den Kopf. »Vielleicht. Vielleicht löst eine Vergiftung Depressionen aus. Aber war sie überhaupt depressiv? Wer depressiv ist, nimmt Schlaftabletten. Oder wirft sich vor den Zug. Aber Eva hat sich in die Luft gesprengt – in aller Öffentlichkeit. Und ausgerechnet in einer Kirche.«
»Sie hat sich nichts dabei gedacht!« Bremer spürte mit Verwunderung, mit welchem Engagement er Eva verteidigte. Sie war ein Opfer, versicherte er sich. Sie war nicht schuld, redete er sich ein. Es war ihm unerträglich, sie als Täterin zu sehen.
Wallenstein wiegte unschlüssig das Haupt. »Bist du sicher?« fragte er leise.
Keiner hatte bemerkt, daß Agata Perski hereingekommen war. Erst, als sie neben Wallensteins Rollstuhl stand, fiel Bremer das leise Klirren auf – sie hielt ein Tablett in der Hand, auf dem Flaschen mit Tropfen und Pillen und ein Wasserglas standen. Mit konzentriertem Blick zählte sie Tropfen auf einen Löffel ab. Wie ein Lämmchen ließ sich Wallenstein den Löffel in den Mund schieben. Die Pillen, die sie ihm in einer Schale reichte, nahm er ohne ihre Hilfe ein. Das Lächeln, mit dem der alte Herr sich bei Agata bedankte, rührte Bremer – aber mehr noch der Blick, mit dem Hannes Janz die beiden betrachtete. Schenk dem Alten noch ein paar Jahre, lieber Gott, dachte Paul in einem Anfall von Frömmigkeit. Wenn es denn einen gab.
Als Agata Perski ging, schaute Hannes Janz ihr sehnsüchtig hinterher. Sogar der Hund lief ihr nach. Sie machte die Wohnzimmertür ganz leise hinter sich zu.
»Glaubst du an die Geschichte?« Sie standen vor Wallensteins Haustür, unter einem bleiernen Himmel, aus dem ein feiner Regenschleier fiel.
»Du glaubst nicht dran«, antwortete Paul kurzangebunden.
»Nein.« Auch sie konnte wortkarg sein.
Nach einer Weile hielt er ihr den Arm hin, mit dem er den Regenschirm hielt, damit sie sich einhaken konnte. Als Versöhnungsangebot. Dann erst fiel ihm wieder ein, daß sie auf Krücken ging.
In der Lobby des Hotels war keine Menschenseele – auch nicht im Wintergarten. Er setzte sich neben Karen auf einen der Korbstühle und blickte durch die Terrassentür hinaus auf den Regenvorhang. »Ihr Sohn war jung gestorben. Da braucht es keinen Unfall mit Spritzbrühe im Kindesalter, um Selbstmordgedanken zu kriegen.«
»Gewiß nicht.«
Er drehte sich erstaunt zu Karen. Warum stimmte sie ihm plötzlich zu? »Es ist immer schrecklich, wenn man ein Kind verliert«, sagte er nach einer Weile.
»Immer.« Er spürte sie neben sich nicken. »Denk an die Klars.«
Aber genau danach war ihm
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