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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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Die Behörden gehen davon aus, dass Venedig 2050 völlig überschwemmt sein wird, wenn nicht drastische Maßnahmen ergriffen werden. Die altehrwürdigen Renaissance-Säle sind bereits in Geschäfte umgewandelt worden, da ebenerdige Läden umziehen mussten. Die Einwohner fliehen, auch aufgrund der ständig zunehmenden Touristenströme. Im Jahr 2007 wurde der letzte Kindergarten der Stadt geschlossen und – wie sollte es anders sein – in ein Hotel umgewandelt. Nie zuvor hat Venedig seinem Image aus »Tod in Venedig« mehr entsprochen, dieser Novelle von Thomas Mann, die er drei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs schrieb und die von Untergangsstimmung (die schwarz gestrichenen Gondeln erinnerten ihn an Särge), dem Konflikt zwischen Leidenschaft und Selbstbeherrschung sowie zwischen Leben und Tod geprägt ist; eine Atmosphäre, die durch den gleichnamigen Film Luchino Viscontis aus dem Jahr 1971 unsterblich wurde, nicht zuletzt wegen der musikalischen Untermalung durch Gustav Mahlers 5. Sinfonie.
    Die eigenwilligen Farben der Stadt tragen zu dieser melancholischen Untergangsstimmung bei. Farben, die es nirgendwo sonst gibt, nicht zuletzt wegen des Lichtes, das im Wasser von Lagune und Kanälen gebrochen wird. In der Gallerie dell’ Accademia, die Napoleon nach der Eroberung Venedigs gründete, kann man beobachten, wie die venezianischen Maler, anders als ihre italienischen Kollegen im 16. Jahrhundert, von der Farbe besessen waren:Während anderen Künstlern die Komposition wichtig war, entwickelten sich die Venezianer zu Meistern der Farbe, inspiriert von eben jenem Effekt, bei dem das von der Lagune reflektierte Licht die Konturen zu verwischen scheint und die Farben in einer unbestimmbaren blauen Stimmung zusammenschmelzen lässt.
    Wie soll man Venedig vor dem Untergang bewahren? Wird der Meeresspiegel ansteigen? Und wenn ja, um wie viel? Nur wenige Fragen haben größere Konsequenzen für die Zukunft der Stadt. Natürlich wird sich letztlich die Oberfläche der Erde verändern, und in einer langen historischen Perspektive ist es eben das Schicksal der Städte von Harappa bis Venedig zu entstehen und zu verschwinden. Viele wollen Venedig natürlich am Leben erhalten, zumindest noch für ein paar Generationen, und sind davon überzeugt, dass die Technik eine Lösung bietet. Da die Kanäle immer stärker verschlammen, graben die Venezianer diese seit Jahren weiter aus, um das Wasser daran zu hindern, an den Hauswänden emporzusteigen. Einige schlagen sogar vor, Meerwasser unter die Stadt zu pumpen, um sie so anzuheben und vor dem steigenden Meeresspiegel zu retten. Die italienische Regierung hat sich jedoch 2003 einem Projekt verschrieben, bei dem im Bedarfsfall das Meerwasser einfach ausgesperrt wird.
    Erfüllt von technologischem Optimismus wurde dem Plan der Name »MOSE« gegeben. Auch dieser moderne Moses wird das Meer teilen, doch nun entscheiden Ingenieure, wie er das tut. Der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi setzte sich massiv für diesen Plan ein, da, wie er sagte, der Klimawandel ernst genommen werden müsse. Riesige bewegliche Tore, die das Wasser im Bedarfsfall aussperren könnten, wurden als optimale und der Beschaffenheit der lokalen Wasserverhältnisse angemessene Lösung betrachtet. Unterirdische Wände sollen sich vom Grund der Lagune erheben können, um das Meer am Eindringen in die Stadt zu hindern. Allein die jährlichen Betriebskosten sollen sich auf neun Millionen Euro belaufen. Berlusconi hat sogar den ersten Stein für dieses Bauwerk auf dem Grund der Lagune mit seinem Namen versehen.
    »Die Regierung nutzt die Unsicherheit über die Klimaentwicklung aus, um die Interessen an einem technologisch-industriellen Komplex zu unterstützen.« Der Umweltaktivist deutet auf das Kanalwasser, das gleich gegenüber dem Restaurant, in dem wir sitzen, an den Palastmauern emporspritzt. »Sie behaupten, es sei ganz sicher, dass das Meer vor Venedig ansteigen und die Stadt im Jahr 2050 unter Wasser stehen wird, wenn nicht drastische Maßnahmen ergriffen werden. Doch viele Aktivisten sind da vorsichtiger«, sagt er, »denn niemand weiß, wie stark das Meer ansteigen wird oder wann. Wir setzen uns daher für mehrere Maßnahmen ein, die im Einzelnen weniger umfangreich sind. Das wäre für die Lagune am besten, und wenn diese Maßnahmen ordentlich durchgeführt werden, dann reichen sie auch aus.«
    Er sieht mich an und wartet auf meine Reaktion, denn er weiß, dass seine Aussage das übliche

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