Wasser
der die Geschichte Roms verstehen will. Er bildet den biblischen Garten Eden ab, wenngleich aus ein wenig Distanz auch zu erkennen ist, dass er nicht nur eine architektonische Meisterleistung darstellt, sondern zugleich auf einen unerlässlichen Tribut an die Herrscher Roms hindeutet. Der Künstler musste vor der Fontäne einen Obelisk aufstellen (der 2000 Jahre zuvor von Augustus aus dem griechischen Heliopolis entwendet worden war) und auf dessen Spitze das Erkennungszeichen Papst Innozenz’ III. anbringen – eine Taube. Der Brunnen bringt also nicht nur die im 15. Jahrhundert herrschende Vorstellung von den vier Strömen im Garten Eden zum Ausdruck, er spiegelt darüber hinaus die päpstliche Macht wider. Die vier kräftigen Männerfiguren des Brunnens stehen für Donau, Nil, Ganges und den Río de la Plata.
Die Päpste entwickelten Rom zu einer Stadt der Brunnen und Fontänen. Die Aquädukte waren im Jahr 537 von den Ostgoten unter Führung Vitigis’ zerstört worden, der sie in Stücke schlagen ließ, um die Römer endlich in die Knie zu zwingen. Als Rom in der Renaissance wieder auf die Beine kam, wurden die alten Aquädukte repariert und neue gebaut. In der Stadt, deren Silhouette im Laufe der Zeit immer mehr von Kirchen bestimmt wurde, betrachtete man nun auch das Wasser zunehmend als etwas Heiliges. Es wurde zu einem Symbol des neuen Lebens, das die Papstkirche nach Rom gebracht hatte – mehr noch: zu einem Symbol für »das Wasser des Lebens«. Die Brunnen und Fontänen des lebendigen Wassers drückten Macht, Unsterblichkeit und Läuterung aus. Die Päpste gaben dem Volk zurück, was ihnen die Kaiser einst geschenkt hatten: große, fantastische Brunnen, wie aus Stein und Wasser komponierte Verse.
Der Trevi-Brunnen markiert das Ende der Acqua Vergine. Er ist der wohl berühmteste Brunnen der Welt, unsterblich gewordendurch Federico Fellinis Film »Das süße Leben« (1960) mit der schwedischen Schauspielerin Anita Ekberg. Seit über zweihundert Jahren kommen Touristen und Römer Abend für Abend an diesen Ort, um sich zu treffen und auch den Kreislauf des Wassers zu bestaunen. Als Nicola Salvi den Brunnen im 18. Jahrhundert erbaute, verfasste er eine kleine Denkschrift über eben jenen Kreislauf und das Wasser »als die bewegliche und ewig wirkende Substanz […], die außerstande ist, zur Ruhe zu kommen, im Gegensatz zur Erde, die nichts anderes macht, als die Eindrücke aufzunehmen, die von außen herrühren, insbesondere vom Wasser, das sie geformt hat«. Der Brunnen sollte ursprünglich die Ankunft des Wassers im Zentrum der Stadt zelebrieren und ist daher eine Referenz sowohl an Jene, die Macht über das Wasser gewonnen hatten, als auch an die Kraft des Wassers selbst. Darüber hinaus symbolisiert er die Rolle des Wassers als Diener der Menschen und als Objekt religiöser Verehrung.
Ich reise weiter nach Venedig, in die Stadt der Kanäle im Norden Italiens – erbaut in einer schlammigen Lagune im Adriatischen Meer. Sie strahlte schon immer eine eigenartige, morbide Schönheit aus. 1853 beschrieb John Ruskin Venedig als einen »Geist über dem sandigen Grund der See, so schwach, so still, so gänzlich allem beraubt außer seiner Anmut« 18 . Besonders im Spätherbst, in den diesig-grauen Monaten November und Dezember, ist die Stadt von dieser Ambivalenz aus vergangener Größe und gegenwärtiger Tristesse geprägt, die ihre Lage und ihre Zukunft zusammenfasst. Das Schicksal Venedigs erscheint heute mehr denn je wie ein verdichtetes Lehrstück über die Folgen der globalen Veränderung unserer Wasserlandschaft: Schmilzt das Grönlandeis so schnell, wie manche behaupten, und steigt der Meeresspiegel so rasch, wie die italienische Regierung vermutet, dann wird Venedig in der Lagune ertrinken.
Es ist Anfang Dezember, als ich langsam durch die nahezu menschenleeren Gassen der Stadt schlendere. Die Stille ist auffällig, unddas Geräusch meiner eigenen Schritte kommt mir geradezu unpassend vor, während ich über die kurzen, geschwungenen Brücken schreite, die mehr als 150 Kanäle überspannen und 117 kleine Inseln zu einer Stadt verbinden. Die Gondeln liegen dunkel und verlassen im Morgennebel und unterstützen die morbide Stimmung. Ich bin auf dem Weg zum Markusplatz, dem Herzen der Stadt – steht er auch heute unter Wasser?
Nicht weit entfernt von Harry’s Bar, in der einst Ernest Hemingway verkehrte, laufe ich um eine Häuserecke und bin von dem sich mir bietenden Anblick völlig schockiert:
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