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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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entscheiden, so wie es bereits in der Vergangenheit den Kaisern erging. 73 Die Doktrin vom »Mandat des Himmels«, das die kaiserliche Macht legitimieren sollte, verlieh der Bedeutung des Wassermanagements politisch-institutionelles Gewicht. Weil ein guter Herrscher die Macht kraft der Billigung des Himmels innehatte, würde dieser seine Zustimmung zurückziehen und sein Missfallen ausdrücken, wenn der Herrscher das Land schlecht regierte. Der Himmel ließe dann das Wasser durch »Dürren, Überschwemmungen und Erdbeben« Rache nehmen, so die alte Lesart. 74 Es lässt sich also schlussfolgern, dass die kommunistische Führung jetzt das »Mandat des Himmels« übernommen hat, denn nie zuvor ist China von weniger ernsthaften Flutkatastrophen heimgesucht worden, nie zuvor konnte der Bevölkerung mehr Wasser gegeben werden als heute. Gleichwohl reicht das vorhandene Wasser aufgrund des enormen wirtschaftlichen Wachstums und der steigenden Bevölkerungszahl nicht aus.
    Über alle ideologischen Schwankungen hinweg, denen China im Laufe der letzten Jahrzehnte unterworfen war, verfolgt der Staatunbeirrt den Bau von Stauseen und -dämmen und Kanälen. In den letzten fünfzig Jahren wurden im Land durchschnittlich drei große Anlagen pro Tag errichtet. Allein die Zahl der Staudämme ist von acht im Jahr 1949 bis heute auf ca. 20 000 gewachsen. Die nachhaltige Ausweitung dieser Wassermanagement-Projekte hat letztlich neue Städte, erhöhte Lebensmittelproduktion und schnelle Industrialisierung erst ermöglicht – sie bilden also die Voraussetzung für das kontinuierliche wirtschaftliche Wachstum des modernen China. Im Vergleich mit allen anderen Ländern kann China deshalb als Staat des Wassermanagements und der Wasserkontrolle bezeichnet werden. Es hat den aquatischen Kampf wie kein anderes Land auf ein hohes Niveau gehoben – praktisch wie theoretisch.
    Der Jangtse ist die Hauptverkehrsader und der größte Fluss Chinas. Er kommt aus Tibet, durchquert neun chinesische Provinzen und mündet nicht weit von Schanghai ins Meer. Zusammen mit seinen 700 Nebenflüssen leitet er das Wasser aus einem Fünftel des Staatsgebietes weiter und bewässert ein Viertel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Über tausende von Jahren hat er zum Gedeihen der chinesischen Kornkammer beigetragen. Sehr viele der Produkte, die im Laufe der chinesischen Geschichte entstanden sind, haben ihren Weg über den 6300 Kilometer langen Fluss gefunden. Heute durchquert er viele der wichtigsten Industrieregionen des Landes. Zwei Drittel aller chinesischen Exportwaren werden über den Jangtse verschifft, der bis 2000 Kilometer ins Land hinein befahrbar ist.
    Wie an vielen anderen Orten haben die Bewohner hier durch die Gewalt des Flusses Jangtse und des Niederschlags katastrophale Überschwemmungen erlebt und großes Leid erfahren. Eine der eindrucksvollsten Geschichten handelt von einer mächtigen Flut im Sommer des Jahres 813, während der Tang-Dynastie. Sie wurde im altchinesischen Verständnis, nach dem das Weibliche das fruchtbare, feuchte und rezeptive Element in der Natur repräsentierte, auf die Frauen zurückgeführt. Die Metaphysiker betrachteten das Ungleichgewicht in der Natur als Missverhältnis zwischen den beidenkosmischen Grundkräften: Yin ist das dunkle, erdig-feuchte, sich unterwerfende, weibliche Prinzip, das die Kontinuität der Natur und des Wasserkreislaufs sicherte; Yang hingegen repäsentierte das helle, positive, himmlische, männliche Prinzip. Die Ungleichheiten in der Natur spiegelten sich im Verhältnis der Menschen wider, wie zum Beispiel in einer als unnatürlich stark empfundenen Position von Frauen, die die etablierte Ordnung beschädigen könnte. Der regierende Kaiser Xianzong war davon überzeugt, dass die Flutkatastrophe das Ergebnis von zu viel Yin im kosmischen Verhältnis zwischen Yin und Yang war. Folglich ließ er am 21. Juli 813 mehrere Frauen auf Wagen »verladen« und jagte sie aus dem Palast. Mit diesem männlichen Eingriff sollte das Gleichgewicht wieder hergestellt werden.
    Die riesige Wand aus Erde, Stein, Stahl und Beton, die sich heute über den Jangtse erhebt, gehört indes einer völlig anderen Tradition an und wird wahrscheinlich hunderte von Jahren stehen bleiben. All das Wasser hat Menschen angezogen, die sich ober- und unterhalb des Damms dem neuen künstlichen Fluss angepasst haben, hier Landwirtschaft betrieben und Industrie aufbauten. Allein am Lauf des Jangtse leben mehr Menschen als in ganz

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