Wasser
Wasserreservoire verschiedener Größen und mehr als 20 000 Kraftwerke erbaut worden.
Die Ereignisse am Drei-Schluchten-Damm sind ein Paradebeispiel für den gegenwärtigen globalen Wettlauf um die Beherrschung der Flüsse: Fast scheint es, als ob in den letzten fünfzig Jahren eine außergewöhnliche Kraft die Frischwasserlandschaft des Planeten verändert habe. Hunderttausende von Wasserfällen werden zur elektrischen Energieerzeugung genutzt, zehntausende neuer Seen sind entstanden, und 60 000 Staudämme mit Höhen von über fünfzehn Metern regulieren den natürlichen Lauf der Flüsse. SolltenArchäologen eines fremden Planeten eines Tages die Reste unserer Zivilisation erforschen, werden sie mit gutem Grund sagen können, dass die Dammanlagen der Menschen unserer heutigen Zeit die Tempel waren. Viele von ihnen sind derart massiv und mit so viel technischem Verständnis konstruiert, dass sie viel länger als Wolkenkratzer, Brücken oder Kirchen bestehen werden. Anzahl und Haltbarkeit der Anlagen werden die außerirdischen Forscher sicher beeindrucken. Noch immer wird nur ein Bruchteil des technisch maximal möglichen Wasserkraftpotenzials in den sogenannten Entwicklungsländern tatsächlich ausgenutzt und umfasst im weltweiten Vergleich weniger als zwanzig Prozent. Das Zeitalter des Staudammbaus hat vermeintlich noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht. Die Projekte werden immer größer und stoßen in zunehmendem Maße auf Widerstand von Umweltschutzorganisationen und von Millionen Menschen, die die Kehrseite des Fortschreitens des »technischen Rationalismus« erkennen.
Als das Boot in Yichang anlegt, gleich unterhalb des Drei-Schluchten-Staudamms, frage ich mich, ob die Göttin, die Mao erwähnte, nur erstaunt oder auch betrübt ist?
Stromabwärts, im Mündungsgebiet des Jangtse, liegt Schanghai – ein Name, den die meisten Ausländer mit Hochseeschiffen in Verbindung bringen und dessen Klang schon den Geruch von Salzwasser hervorruft. Die Seeleute wider Willen, die in der Vergangenheit gewaltsam »schanghait« wurden, lebten allerdings nicht in Küstenstädten. Der Huangpu, ein Nebenfluss des Jangtse, an dem Schanghai liegt, bildet einen Binnenhafen; bei Flut können Hochseeschiffe den Fluss bis hinauf in die Stadt befahren.
In der frühen Abenddämmerung gleiten große, hochseetüchtige Lastschiffe vorbei, hunderte von Flusskähnen liegen fest vertäut am Ufer, und überall flattern rote Fahnen im Wind – all das vermittelt den Eindruck von enormer Aktivität, Unruhe und von Wachstum. An diesem Ort ist leicht zu verstehen, warum die Chinesen gar nicht den Namen Jangtse verwenden, der sich von dem alten Königreich der Yan ableitet. In China heißt der Fluss Chang Jiang, »der langeFluss«, oder einfach Chang, »Fluss«. Dieser Name spricht von der Bedeutung des Jangtse als wichtigster Wasserweg Chinas.
Inzwischen hat die chinesische Führung einen neuen Plan vorgestellt, der den Drei-Schluchten-Staudamm und alle früheren Projekte in den Schatten stellt. Chinas große Epoche der Kanäle zog sich von etwa 300 v. Chr. bis ins Jahr 1200. Das spektakulärste Bauwerk war damals der »Große Kanal« oder »Kaiserkanal«. Über ihn wurden Peking und das Heer mit 400 000 Tonnen Getreide pro Jahr beliefert, und im 11. Jahrhundert wurden 300 000 Soldaten aus der Nähe Pekings sowie weitere 750 000 aus den nördlichen Grenzgebieten über den Kanal transportiert.
Auf diesem Kanal fahre ich nach Hangzhou, einer Stadt, die etwas nördlich von Schanghai im Landesinneren liegt. »Im Himmel über uns liegt das Paradies, auf der Erde gibt es Suzhou und Hangzhou«, heißt es in einem alten chinesischen Sprichwort über die Stadt.
Schon viele Kanäle habe ich auf meinen Reisen besucht: Ich fuhr auf dem Eriekanal, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, um den Hudson mit den Großen Seen zu verbinden, und der wesentlich zur industriellen Revolution in den USA und zur Bedeutung New Yorks beitrug; auch den Bridgewater-Kanal habe ich mir angesehen, der bereits 1761 eröffnet wurde und in der Frühphase der industriellen Revolution in England einen neuen Transportweg bildete; und schließlich bin ich dem Canal du Midi (Kanal des Südens) gefolgt, der seit dem 17. Jahrhundert in Frankreich das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet. Doch im Verhältnis zum Kaiserkanal wirken all diese Projekte geradezu winzig. Steht man heute an diesem großen, breiten Wasserweg, der nach so vielen Jahrhunderten noch immer in
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