Wassergeld
Verspätung kam ich im Waldspitzweg an. Entweder lag es daran, dass in der Dienststelle heute mehr geheizt wurde als sonst oder an meiner dicken und vielschichtigen Kleidung: Ich schwitzte so richtig unangenehm. Ohne mir darüber Gedanken zu machen, ging ich direkt in Juttas Büro. Meine beiden Kollegen saßen zusammen mit Dietmar Becker am Besprechungstisch.
»Guten Morgen, Herr Bauer«, begrüßte ich den Gast. Gerhard und Jutta schauten verwirrt. Ich setzte mich neben meine Kollegin. Diese rümpfte die Nase und rückte etwas von mir ab.
»Gestern Bier und heute Schweiß. Könntest du bei Gelegenheit mal wieder duschen?«
Ohne darauf einzugehen, schaute ich auf den Studenten. »Ich bin gespannt, was Sie zu berichten haben.« Zu meinen Kollegen sagte ich: »Herr Becker ist zurzeit inkognito mit Pseudonym unterwegs. Gestern traf ich ihn als Herrn Bauer bei Johanna Kocinsky.«
»Davon hast du mir gar nichts gesagt«, meinte Jutta.
»Das hatte auch nichts mit meinen Ermittlungen zu tun«, wiegelte ich ab. »Was gibt’s Neues von der Front?«
»Wir haben Besuch, Reiner. Willst du nicht erst einmal wissen, warum er hier ist?«
Ohne mir über den Inhalt Gedanken zu machen, goss ich mir ein tiefschwarzes und zähflüssiges Heißgetränk aus der auf dem Tisch stehenden Kanne ein. »Von mir aus. Herr Becker, ich glaube, der Name ist Ihnen lieber als Bauer, wieso waren Sie gestern bei Frau Kocinsky?«
Der verlegen wirkende Student setzte sich gerade und antwortete: »Es tut mir leid, dass wir uns dort über den Weg gelaufen sind. Ich wollte Ihnen nicht nachspionieren. Woher sollte ich wissen, dass Sie im Zusammenhang mit dem Immobilienunternehmen ermitteln?«
»Im Zusammenhang mit was? Herr Becker, auch wenn ich es Ihnen nicht sagen darf, ich war wegen Frau Kocinsky dort und nicht bezüglich ihrer Immobiliengeschäfte. Ihr Mann wurde gestern ermordet.«
Das schien für den Studenten neu zu sein. Er stotterte ein wenig hilflos herum, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.
»Das wusste ich nicht. Sie hat mir davon nichts gesagt. Und ehrlich gesagt, sie wirkte auf mich keineswegs wie eine trauernde Witwe. Sie machte sogar ein paar Späße.«
»Dann schießen Sie mal los, Herr Becker«, grunzte der bisher schweigsame Gerhard.
»Also, das war so«, begann der Student. »Mir hat der Campingplatz ›Auf der Au‹ und dessen Umgebung keine Ruhe gelassen. Ich habe Ihnen, Herr Palzki, bereits gesagt, dass viele Eigentümer ihre Grundstücke rund um Altrip verkaufen wollen, bevor der Polder gebaut wird. Selbst die Kreisverwaltung beziehungsweise der Verein als Eigentümer der Campingplatzanlage prüft seit einiger Zeit, ob sie das Gelände mangels Rentabilität verkaufen soll. Meine Recherchen ergaben, dass Frau Kocinskys Unternehmen ›Metropolregion Immobilien‹ wahrscheinlich den Zuschlag für die Anlage erhält. Und wegen des Deichbruchs zu einem sagenhaft günstigen Preis. Es gibt zwar einen sogenannten Besserungsschein, das heißt, dass Gewinne, die in den nächsten Jahren durch die Vermietung der Parzellen entstehen, zum Teil an den Verkäufer fließen, aber das kann man leicht umgehen.«
Jutta unterbrach ihn. »Auf gut Deutsch, wenn es keinen Gewinn gibt, dann schauen die ehemaligen Eigentümer in die Röhre.«
Becker nickte. »Das Geschäft baut auf gegenseitiges Vertrauen auf. Wenn Johanna Kocinsky in den nächsten Jahren in die Anlage investiert, vielleicht einen Abwasserkanal legen lässt, dann bleibt kein Gewinn übrig. Auf der anderen Seite schrieb der Campingplatz auch so in den letzten Jahren ständig rote Zahlen. Immer mehr Camper geben ihre Parzelle auf und die Wiedervermietung gelingt meist nur zu einem niedrigeren Mietzins.«
Mir klang das alles suspekt. »Welche Schlüsse ziehen Sie daraus, Herr Becker? Ich denke nicht, dass die Immobiliengesellschaft für den Deichbruch verantwortlich ist. Frau Kocinsky würde sich dadurch ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie das Gelände nach dem Kauf nicht mehr vermieten könnte.«
»Ja, ja«, fuhr mir Becker ins Wort. »Darum geht es bei meiner Recherche auch nicht. Mit dem Anschlag hat das bestimmt nichts zu tun. Ich bin einer ganz anderen Sauerei auf der Spur.«
Gerhard schenkte sich, seit ich hier war, bereits die dritte Tasse Kaffee ein.
Der Student redete weiter. »Neben den Verhandlungen zwischen der Kreisverwaltung und der ›Metropolregion Immobilien‹ gibt es noch die anderen Grundstücksgeschäfte. Die Preise für die Äcker und überhaupt
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