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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Körper. Sollte er auftauchen, würde sie so lange auf seinen verdammten Schädel einschlagen, bis er sich nicht mehr rührte. Er sollte nie wieder eine Chance bekommen, eine Frau anzugreifen!
Doch das Wasser blieb still. Es schien den Mann nicht mehr hergeben zu wollen.
Hatte sie ihn getötet?

    Die Erinnerung war heiß und schmerzhaft. Die Tränen liefen wie Sturzbäche über ihre Wangen und versickerten im Kissen. Lavinia hatte ihren Kampf verloren, die Bilder ließen sich nicht zurückdrängen, dafür war das Gefühl, verfolgt zu werden, zu intensiv gewesen. Der Taxifahrer Frank hatte sie vor ihrem Haus abgesetzt und sogar noch gewartet, bis sie ihm aus dem vorderen Fenster heraus ein Zeichen gegeben hatte, dass alles in Ordnung war. Lavinia hatte, ohne vorher etwas zu essen, das erste Glas Rotwein nur so heruntergestürzt. Das war vor vier oder fünf Stunden gewesen. Jetzt war die Flasche leer, ihr Kopf schwer, aber der Alkohol hatte die Erinnerungen nicht zurückgedrängt. Er hatte sie nicht einmal blasser oder weniger schmerzhaft gemacht. Alles war noch genau so präsent, als wäre es erst gestern geschehen und nicht vor drei Jahren.
    Nichts davon würde jemals verschwinden, nicht, solange sie in diesem Land und in dieser Stadt blieb. In jedem Schatten und hinter jeder Ecke lauerte er, jedes nächtliche Geräusch ließ die Angst erneut aufflammen. Da half es nicht, dass sie von neugierigen Nachbarn umgeben war, die alles mitbekamen.
    Und die Nächte waren nach wie vor am schlimmsten.
    Nicht alle, aber die schlaflosen, in denen die Bilder kamen. Dieses leuchtende Rot zwischen all dem Weiß, das schwarze Haar, ausgebreitet wie die Federn eines Pfaus, das nackte Fleisch …
    Lavinia stöhnte laut und presste sich die Handballen auf die Augen, bis es weh tat und sie Sterne sah. Schmerz und Sterne waren immer noch besser, viel besser als diese entsetzlichen Bilder.

8
    Die Dämmerung hatte eingesetzt, und der Himmel wechselte seine Farbe. In das Kobaltblau des Tages sickerte die Dunkelheit. Im Westen verteidigte noch ein heller Streifen den Horizont, aber über dem Osten lag bereits die sterngesprenkelte Schwärze der Nacht.
    Frank Engler holte eine Packung Malboro aus der Seitenablage seines Taxis, klopfte eine Zigarette heraus und zündete sie an. Ans Auto gelehnt betrachtete er den Himmel. Diese Tageszeit mochte er besonders. Sie löste den Stress und Lärm des Tages ab, und wenn man sich darauf einließ, konnte man sich wie der einzige Mensch auf Erden fühlen.
    Heute klappte das nicht, da Frank immer noch aufgeregt war. Schuld daran trug einzig und allein die Frau, die er von der S-Bahn nach Hause gefahren hatte: Lavinia. Jetzt, mehr als vier Stunden später, ärgerte er sich darüber, sie nicht zum Essen oder auf einen Kaffee eingeladen zu haben. Sie faszinierte ihn, und er hätte sie gern näher kennengelernt.
    Aber er wusste, warum er sie nicht eingeladen hatte. Es war keiner Frau zuzumuten, mitten in der Nacht aus dem Bett gerissen zu werden, um nach einem abgetrennten Bein zu suchen. Oder stets befürchten zu müssen, dass sich die Grenze zwischen Realität und Wahn irgendwann öffnete und das Messer im Rücken nicht länger nur eine unschöne Vorstellung blieb. Er war unzumutbar für jede Frau, und deshalb blieb er lieber allein. Nach all den Jahren war die Einsamkeit sein bester Freund geworden. Ein Freund, der schweigen konnte und keinen Anstoß nahm an blutbesudelten Laken, Nächten voller Angst oder Aussetzern, die andere Menschen das Leben kosten konnten.
    Trotz alledem … diese Lavinia würde er wirklich gern wiedersehen.
    Sein Handy klingelte. Er beugte sich ins Taxi, nahm es aus der Halterung und drückte den grünen Knopf.
    «Hast du schon Schluss gemacht?», fragte Barbara.
    Sie nahm es ihm nie krumm, wenn er mal vergaß, sich abzumelden. Streng genommen war er sein eigener Chef. Das Taxi gehörte ihm, und er fuhr auf eigene Rechnung, aber Teamwork war in einem kleinen Familienunternehmen unabdingbar.
    «Nein, bin noch voll da. Hast du was für mich?»
    «Draußen am Campingplatz beim Stedeberger See will jemand abgeholt werden.»
    «Um diese Zeit! Wohin will er denn?»
    «Hat er nicht gesagt. Er steht vorn an der Bushaltestelle.»
    «Okay, ich fahr hin. Danach mach ich dann Schluss.»
    «Alles klar, bis morgen … Und schlaf gut.»
    Diesen Witz musste Barbara immer anhängen, sie konnte einfach nicht anders. Er war ihr nicht böse deswegen. Sie und Helmut durften das. Sie waren die

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