Wassermanns Zorn (German Edition)
sie fort war, lehnte sich Eric an die Motorhaube und zündete sich eine Zigarette an. Er war weit genug vom Fundort der Leiche entfernt, die Geräusche drangen nicht bis zu ihm, und es hatte etwas Tröstliches, den Spurentechnikern dabei zuzusehen, wie sie in akribischer Langsamkeit ihrer Arbeit nachgingen. Die drei Krähen in der hohen Krone der Weide schienen das genauso zu sehen. Vielleicht trauerten sie aber auch nur einem vielversprechenden Abendessen nach.
Im Inneren seiner Jacke begann das Handy zu brummen.
Eric erstarrte, und obwohl er es eigentlich nicht tun wollte, holte er es doch hervor.
Annabells Nummer.
«Ja», meldete er sich.
«Ich wusste, du würdest zu feige sein, Stiffler.»
«Ich werde dich erwischen, du krankes Arschloch, und dann werden wir beide zusammen ein Bad nehmen.» Stifflers Stimme kippte fast.
Der Anrufer lachte.
«Du weißt gar nicht, wie recht du damit hast, Stiffler. Am Ende werden wir alle baden. Denk an meine Worte. Wir hören bald wieder voneinander.»
«Wer bist du?», fragte Eric.
Rasselnde, schleimige Atemgeräusche drangen aus dem Telefon, und Eric meinte, etwas Feuchtes an seinem Ohr zu spüren.
«Das weißt du doch, Stiffler.»
«Nein. Sag es mir.»
Stille. So tief wie ein Bergsee.
«Der Wassermann, Stiffler. Ich bin der Wassermann.»
7
«Warum will er sich mit dir an einem See treffen? Findest du das nicht merkwürdig?», fragte Lavinia und sah ihre Freundin an.
«Bullshit», sagte Susan. Es war ihr Lieblingswort, sie benutzte es dauernd, und Lavinia kannte niemanden, bei dem es fröhlicher klang. «Bei diesem Wetter ein paar Stunden in der Sonne liegen, was ist daran merkwürdig? Das kann ich doch nicht ablehnen. Schon gar nicht, wenn ich dafür auch noch Geld bekomme.»
Seit sie angefangen hatten, für ihren großen Traum zu sparen, nahm Geld einen viel zu großen Raum in ihrem Leben ein. Vor allem Susan war gierig geworden und beachtete kaum noch die Sicherheitsregeln, die sie sich selbst auferlegt hatten.
«Und warum kann er nicht ein Hotelzimmer buchen wie die anderen auch?», fragte Lavinia.
Susan zuckte mit den Schultern und steckte die großen, perlmuttfarbenen Ohrringe in ihre Ohrläppchen. Sie waren handtellergroß und sehr auffällig. Susan liebte diese Art von Modeschmuck und war meistens behangen wie ein Weihnachtsbaum. Sie besaß eine große Kiste voll von dem Zeug. Bis auf ein paar Stücke, die richtig teuer gewesen waren, war das meiste billiger Tand.
«Ist ihm zu peinlich, sagt er. Und bei ihm zu Hause geht es wegen seiner Mutter nicht. Ich sag dir, der ist so verklemmt, da läuft heute gar nichts. Ich werde ein bisschen in der Sonne liegen und mich bräunen, das ist alles. Der Typ ist in Ordnung, glaub mir. Die ersten beiden Male hat er sich kaum getraut, mich anzuschauen. Der ist fast noch ein Kind, ein großes, schüchternes Kind. Aber süß.»
Lavinia schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht.»
«Komm, hab dich nicht so. Du fährst doch hinterher. Was soll schon passieren?»
Susan zwinkerte ihr aufmunternd zu, stieg dann mit einer einzigen eleganten Bewegung aus dem engen Wagen, schlug die Tür zu, klopfte einmal aufs Dach und lief über die Straße. Sie war eins achtzig groß und hatte lange, schlanke Beine, die in Röhrenjeans atemberaubend aussahen. Ihr Gang war selbstbewusst, sie ging mit gestreckten Schultern, den Kopf erhoben. Susan versuchte nie, sich kleiner zu machen oder gar zu verstecken. Lavinia beneidete sie ein wenig um dieses Selbstbewusstsein.
Sie musste keine fünf Minuten warten, bis ein schwarzer Volvo an der Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite hielt. Die Person hinterm Steuer konnte Lavinia nicht erkennen, weil sie selbst hinter einer Buchenhecke versteckt parkte. Sie sah Susans blondes, langes Haar, mehr nicht. Dem Kunden hatte Susan gesagt, sie würde mit dem Bus zu diesem Treffpunkt kommen. Er musste nicht wissen, dass sie zu zweit unterwegs waren und er beobachtet wurde.
Lavinia wartete, bis der Volvo in ihrem Rückspiegel kaum noch zu sehen war. Dann wendete sie den kleinen Twingo und folgte ihnen. Bei dem schwachen Verkehr hatte sie keine Probleme damit, weit zurück zu bleiben und dennoch den Anschluss nicht zu verlieren. Die Fahrt dauerte keine zwanzig Minuten, dann bog der Volvo von der Landstraße in einen unbefestigten Feldweg ab. Lavinia wartete, bis er nicht mehr zu sehen war, und fuhr dann hinterher. Das hohe Gras streifte am Unterboden des Wagens entlang. Rechts und links stand das Getreide
Weitere Kostenlose Bücher