Wassermanns Zorn (German Edition)
einzigen Menschen, die ihn wirklich kannten. Ohne ihre Hilfe würde er wahrscheinlich vom Sozialamt leben.
Frank warf die Zigarette auf den Asphalt, trat sie aus, stieg ein und fuhr los. Bis zum Campingplatz am See dauerte es zwölf Minuten. Als er dort ankam, war es bereits dunkel. Um diese Zeit hatte er noch nie jemanden aus dieser einsamen Ecke weit draußen abgeholt. Hier gab es nichts weiter als Wald, Wiesen, den See und den Campingplatz, der zu dieser Jahreszeit noch nicht allzu gut besucht war. Die Camper blieben lieber unter sich. Von denen wollte kaum mal jemand abends in die Stadt.
Als er langsam auf die Bushaltestelle zurollte, war Frank schon ein bisschen mulmig zumute, und er erschrak, als tatsächlich ein Mann aus dem tiefen Schatten hervortrat.
Er war dunkel gekleidet und hielt den Rücken krumm.
Wie ein Wiesel eilte er auf das Taxi zu und war drin, ehe Frank es sich anders überlegen konnte.
9
Nach der Scheidung vor zwei Jahren war Eric Stiffler in dem gemeinsamen Haus geblieben. Kathi hatte keinen Anspruch darauf erhoben, aber eine faire Auszahlung erwartet. Die hatte sie bekommen – und ihn damit finanziell an den Rand des Ruins getrieben. Dafür durfte Eric in einem viel zu großen Haus mit einer viel zu hohen Hypothek leben, in dem er von neun Zimmern nur drei ständig nutzte: die Küche, das Bad und das Wohnzimmer. Ins Schlafzimmer kam er nur unregelmäßig, weil er die meisten Nächte auf der ausziehbaren Couch vor dem Fernseher verbrachte.
Trautes Heim, Glück allein.
Seine Augen brannten. Er konnte sie kaum noch offen halten, als er spätabends endlich die Tür hinter sich zudrückte und sorgfältig abschloss. Er legte sogar die Sicherheitskette vor – eine Anschaffung seiner Frau –, obwohl ihm klar war, dass sie zu nichts nütze war.
Im Haus war es warm und stickig. Wie immer waren tagsüber alle Fenster geschlossen gewesen. Er beließ es auch jetzt dabei. Statt zu lüften, zog er sich bis auf die Unterhose aus, ging dann in die Küche und holte eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Er entfernte den Kronkorken und trank den ersten Schluck an die Arbeitsplatte gelehnt.
Die Hoffnung, mit dem Bier den Tag hinunterspülen zu können, erfüllte sich natürlich nicht. So viel Bier konnte er gar nicht trinken, dass sich diese Bilder vertreiben ließen.
Ein Geschenk für Stiffler.
Die Worte waren nach dem vorläufigen Urteil Heinemanns mit einem Lötkolben in die zarte Bauchhaut gebrannt worden. Ob vor oder nach ihrem Tod, würde die Leichenschau ergeben.
Eric setzte die Flasche ab und hielt inne.
Das Bier hatte eine vollkommen andere Wirkung, als er es sich erhofft hatte. Da draußen am Fluss war er standhaft geblieben, auch als sein Magen sich bei Annabells Anblick zusammenzog. Aber jetzt spürte er alles aufsteigen, was sich darin befand.
Den Weg zur Toilette sparte er sich. Er beugte sich vor und erbrach sich ins Spülbecken. Ein scharfer Geruch brannte in seiner Nase und sorgte für einen erneuten Würgereflex. Es kam jedoch nur noch Flüssigkeit. Eric drehte den Wasserhahn auf, wusch sich das Gesicht, nahm eine Gabel aus der Schublade und zerdrückte seine vorverdauten Essensreste so lange, bis sie durch das Abflusssieb passten.
Angewidert griff er nach der Bierflasche und ging hinüber ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch lag die Fernbedienung auf der aufgeschlagenen Fernsehzeitung, daneben standen der gutgefüllte Aschenbecher und zwei leere Bierflaschen. In der Holzschale, die Kathi aus ihrem gemeinsamen Urlaub in Griechenland vor sechs Jahren mitgebracht hatte, lagen gesalzene Erdnüsse. Eric nahm eine Handvoll und stopfte sie sich in den Mund. Sie hatten noch nie so gut geschmeckt.
Er trat vors Fenster.
Es bot einen Ausblick auf die Terrasse und den hinteren Teil des Gartens. Beides lag in völliger Dunkelheit. Jemand hätte ihn von dort aus beobachten können, ohne dass er es gemerkt hätte. Schnell ließ er den Rollladen herunter. Der war seit Monaten nicht mehr bedient worden und funktionierte nur schwergängig und mit viel Lärm.
Dann fiel sein Blick auf die gerahmten Fotografien, die neben dem Zugband für den Rollladen an der Wand hingen. Kathi hatte sie dort aufgehängt, vor Jahren schon, doch heute nahm er sie zum ersten Mal wirklich wahr. Die nackten Nägel verrieten, dass es ursprünglich zehn Bilder gewesen waren, jetzt hingen nur noch vier dort. Die übrigen hatte sie mitgenommen, und Eric konnte sich nicht erinnern, was das für Bilder waren, an die sie
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