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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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ihrer Veränderung. Früher, in ihrem anderen Leben, hatte sie sich jeden Tag eine Art Maske übergezogen, bestehend aus Make-up, Eyeliner, Lippenstift, falschen Wimpern und was sonst noch alles dazugehörte.
    Nein, keine Maske mehr, nur noch die echte Lavinia. Die starke Lavinia, die sich nicht unterkriegen ließ, auch nicht von der Kropf.

2
    «Was ist das für eine verdammte Scheiße?»
    Einige kleine Speicheltropfen landeten auf der blankpolierten, mit Klavierlack überzogenen Schreibtischoberfläche, und Eric Stiffler konnte nicht anders, als hinzusehen und sich zu ekeln.
    Hans Bender, Polizeichef und damit sein Vorgesetzter, war schon am frühen Vormittag richtig in Fahrt. Bender war ein ausgemachter Choleriker, der – und da war Eric sich sicher – seine Pension nicht erleben würde. Sein ständig roter Kopf dokumentierte einen immensen Blutdruck.
    Bender war genauso groß wie Eric, wog aber locker doppelt so viel. Ein imposanter Bauch spannte das teure, stets tadellos gebügelte Hemd zum Zerreißen. Wenn Bender in Fahrt war, standen schnell dicke Schweißperlen auf seiner hohen Stirn, aber nie sah man ihn mit Schweißflecken oder gar Salzrändern unter den Achseln. Eric vertrat die Theorie, dass Bender sich die Schweißdrüsen hatte entfernen lassen, weil er Schwitzen als Ausdruck von Angst verstand, und die durfte es in seinem Alphamännchen-Universum nicht geben. Wahrscheinlicher aber war, dass er sein Hemd ein paar Mal am Tag wechselte, der eitle, selbstverliebte Kerl.
    Bender hatte ihn in seinem Büro empfangen und ihm keinen Platz angeboten. Also wartete Eric hinter dem Besucherstuhl, die Hände auf der Lehne abgelegt, und beobachtete seinen Chef dabei, wie er vor der großen Fensterfront, die auf den Fluss hinausging, auf und ab marschierte.
    Eric war von seinem Ausbruch weder beeindruckt noch eingeschüchtert. In ihrer gemeinsamen Zeit bei der Polizei, die mittlerweile fünfzehn Jahre dauerte, hatte es Vorkommnisse gegeben, die Bender seine Autorität gekostet hatten. Sie hatten zusammen studiert und einige Lehrgänge besucht, und schon immer war klar gewesen, dass es Bender mit seinem brennenden Ehrgeiz und seiner Rücksichtslosigkeit schnell weiter bringen würde als die meisten anderen. Aber er war nicht integer und wäre längst gestolpert auf seinem Weg, wenn Eric nicht von Zeit zu Zeit die Klappe gehalten hätte.
    Das würde sich jetzt auszahlen. Es musste sich einfach auszahlen.
    «Wieso steht Ihr Name auf dem Bauch eines Mordopfers?», fragte Bender unnötig laut.
    Eine blöde Frage, denn die Antwort lag doch auf der Hand. Der Täter wollte jedermann wissen lassen, warum Annabell getötet worden war. Es hatte ihm nicht gereicht, Eric anzurufen und die Leiche an ihrem geheimen Treffpunkt unter der Weide zu deponieren, denn das hatte Eric ja nur zeigen sollen, wer die Spielregeln festlegte. Der Schriftzug auf dem Bauch war für die anderen. Für seine Kollegen und die Spurentechniker. Er sollte verhindern, dass Eric die Sache irgendwie verschleierte.
    In der zurückliegenden Nacht, in der er nur wenig geschlafen hatte, war ihm immer wieder Annabells Gesicht erschienen. Unter Wasser, wie sie nach Luft schnappte, ihr langes Haar geisterhaft neben ihrem Gesicht trieb.
    Sie badet, Stiffler … sie badet …
    Die Gedanken gerieten ihm durcheinander. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Der Schlafmangel füllte seinen Kopf mit Watte, durch die selbst Benders Gebell nur gedämpft drang.
    Geschenk für Stiffler.
    Eric erinnerte sich an den Blick, den Manuela Sperling ihm zugeworfen hatte, als sie die schwarz eingebrannten Buchstaben auf der weißen Haut des Bauches der Leiche sah. Forschend, argwöhnisch, neugierig. Sie hielt nur selten den Mund, aber da hatte sie geschwiegen. Niemand hatte etwas gesagt, und er hatte sich nicht erklärt, aber die Frage, die Bender jetzt stellte, war in den Augen aller Umstehenden zu sehen gewesen.
    «Weil er mich meint, nicht das Opfer», antwortete Eric.
    Bender sah ihn an. Er fraß ihn geradezu auf mit seinen Augen, die tief unter einem Vordach buschiger Augenbrauen lagen.
    «Und wieso meint er Sie?»
    Benders Stimme klang jetzt ruhiger. Cholerisch und laut war der Mann ungefährlich, doch wenn er sich beruhigte, musste man auf der Hut sein.
    Eric zuckte mit den Schultern und setzte zu der Lüge an, die er sich zurechtgelegt hatte, wohl wissend, dass er dann nicht mehr zurückkonnte.
    «Das kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen. Sie wissen so gut

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