Wassermanns Zorn (German Edition)
und betrachtete ihn prüfend. «Hast du denn überhaupt geschlafen?»
Frank zuckte mit den Schultern.
«Wie immer, du kennst das ja.»
Er hatte vergleichsweise gut geschlafen, zumindest im Lichte dessen betrachtet, was gestern passiert war. Nachdem der Stinker verschwunden war, hatte er sich ins Taxi gesetzt und war in die Innenstadt zum Polizeipräsidium gefahren. Dort hatte er den Überfall gemeldet und eine einigermaßen aussagekräftige Personenbeschreibung abgegeben. Falls der Mann auf dem Campingplatz lebte – es gab Menschen, die das ganze Jahr dort verbrachten –, würde die Polizei ihn finden. Dann würde er eventuell sein Handy wiederbekommen, aber ganz sicher nicht das Geld. Das konnte er abschreiben.
Als könnte Barbara seine Gedanken lesen, sagte sie:
«Helmut und ich ersetzen dir das Geld.»
Frank hob abwehrend die Hände.
«Kommt gar nicht in Frage, so viel war es auch nicht.»
Klar tat der Verlust weh, aber mit einem Taxiunternehmen waren keine Reichtümer zu verdienen, nicht bei den Sprit- und Fahrzeugpreisen, und er wusste, dass sein Bruder und seine Schwägerin gerade so am Limit wirtschafteten.
«Red nicht so ein Unfug», sagte Barbara barsch. «Du bekommst das Geld, und damit basta. Und im Büro in der Schublade findest du bestimmt auch ein Handy. Da liegen ein paar, und die holt ja doch keiner ab.»
«Ein Nein akzeptierst du wohl nicht.»
«Immerhin habe ich dich da rausgeschickt», erwiderte Barbara.
«Wie? Hat der Typ am Telefon etwa angekündigt, dass er mich überfallen will?»
Barbara knuffte ihn gegen die Schulter.
«Mach nur deine Scherze. Ich frage mich jedes Mal, wenn so etwas passiert, warum wir überhaupt noch weitermachen.»
«Weil wir nichts anderes können.»
«Das wäre ja traurig. Du willst doch nicht schon wieder fahren, oder?»
«Eigentlich hatte ich vor, nur meinen Wagen sauber zu machen und dann wieder loszufahren. Warum denn nicht? Ist ja weiter nichts passiert.»
«Du solltest dir einen Tag freinehmen», sagte Barbara kopfschüttelnd.
«Um was zu tun? Zu Hause zu sitzen und nachzudenken? Nein danke.»
«Wie du willst. Dann lass deinen Wagen stehen, geh ins Büro und mach dir einen Kaffee.»
«Kommt gar nicht in …», wollte Frank aufbegehren, wurde aber durch eine resolute Handbewegung unterbrochen.
«Tu mir den Gefallen und setz dich kurz ans Telefon, dann kann ich hier in Ruhe weitermachen», sagte Barbara und schob ihn weg. «Na los, nun geh schon.»
Frank beugte sich ihrem Willen und ging in den Container.
Trotz der noch frühen Tageszeit lag die Luft warm und schwer darin. Die Sonne schien bereits seit ein paar Stunden auf das metallene Flachdach. Fenster und Türen standen offen, doch das half nicht viel. Der Container war ausgestattet mit einem Tisch und vier Stühlen, einem Schreibtisch und einem Regal voller Aktenordner. Auf einer alten Blechspüle stand eine Kaffeemaschine, das Heiligtum des Unternehmens. Ohne Kaffee lief bei Taxifahrern gar nichts.
Frank befüllte die Maschine, ließ sich auf den Stuhl fallen und zog die oberste Schreibtischschublade auf. Darin lagen sieben Handys. Vier waren alt und zerkratzt, die anderen neuwertig. Er nahm eines der neueren heraus, öffnete den rückseitigen Deckel und entfernte die SIM-Karte. Frank würde sich später eine neue SIM-Karte besorgen und das Handy so lange benutzen, bis sich der Eigentümer meldete. Und wenn er sich nicht meldete, dann blieb es eben seins.
Er wollte die Schublade schon wieder schließen, als ihm die kleine schwarze Dose ganz hinten auffiel. Er holte sie hervor und betrachtete das Etikett. Es handelte sich dabei um Tierabwehrspray – die einzige in Deutschland zugelassene Form von Pfefferspray. Natürlich wirkte es auch gegen Menschen hervorragend, aber man durfte es nicht einsetzen, deshalb hatte Frank bisher nie welches dabeigehabt. Er kannte Kollegen, die Pfefferspray gegen Angreifer eingesetzt hatten und später zu Geldstrafen verknackt worden waren, weil die Richter gerade Taxifahrern den Vorsatz unterstellten, es dafür und nicht für die Abwehr von Tieren mitgeführt zu haben.
Vielleicht sollte er es trotzdem einstecken. Nur so, zur Sicherheit. Er hatte großes Glück gehabt, dass der Stinker viel zu stoned gewesen war, um mit dem Messer wirklich umgehen zu können. Beim nächsten Mal würde es vielleicht anders sein.
Frank steckte die Dose in seine Hosentasche.
Das Telefon klingelte.
«Taxi Engler», meldete er sich.
«Morgen, Bruder. Was machst du in
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