Wassermanns Zorn (German Edition)
der Zentrale?»
Es war Helmut. Den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen, fuhr er.
«Deine Frau wäscht ja mal wieder Autos, allein», sagte Frank.
«Alles klar bei dir?», überging sein Bruder den Vorwurf.
«Alles bestens.»
«Dann notier doch bitte einen Termin.»
Helmut nannte ihm Namen und Uhrzeit, und Frank trug beides in den Timer ein. Dann war das Gespräch beendet.
Die Kaffeemaschine röchelte in die Stille hinein. Frank wollte gerade aufstehen, um sich eine Tasse einzuschenken, da klingelte das Telefon erneut.
«Taxi Engler.»
Zunächst Stille. Rauschen. Dann ein merkwürdiges, gurgelndes Geräusch, als hätte jemand im Hintergrund die Klospülung abgezogen.
«Hallo», setzte Frank nach.
«Ich habe gestern meine Sonnenbrille in einem Ihrer Taxis liegen lassen», sagte eine männliche Stimme.
«Kein Problem. Sagen Sie mir einfach die Uhrzeit und die Fahrtstrecke, dann finde ich den Wagen heraus. Wenn die Brille noch da ist, können Sie sie hier bei uns auf dem Betriebshof abholen.»
«Später Nachmittag, nach siebzehn Uhr», sagte die Stimme.
«Und welche Strecke sind Sie gefahren?»
Pause und schweres Atmen.
«Nennen Sie mir bitte den Namen und die Adresse des Fahrers, dann hole ich die Brille bei ihm zu Hause ab. Das wäre für mich am einfachsten», sagte die Stimme.
Frank wurde hellhörig.
«Wo sind Sie denn eingestiegen?»
«S-Bahn-Station Schwarzer Berg .»
Damit hatte Frank gerechnet.
«Wir können die Namen unserer Fahrer natürlich nicht rausgeben, aber wenn Sie mir Ihren Namen und Adresse …»
Abrupt beendete der Anrufer das Gespräch.
«Hallo», versuchte Frank es noch einmal.
Dann legte er den Telefonhörer auf. Ihm wurde gleichzeitig heiß und kalt. Er verstand nicht, was da vor sich ging.
Zu der besagten Zeit war er selbst von der S-Bahn-Station Schwarzer Berg gestartet. Aber nicht mit einem männlichen Fahrgast, sondern mit der Frau, die sich Lavinia genannt hatte. Die sich verfolgt gefühlt hatte.
Die Sache mit der Sonnenbrille war vorgeschoben, so viel war klar, aber warum wollte jemand seinen Namen und seine Adresse erfahren?
4
Die Frau, die schließlich die mühsam aufrechterhaltene Fassade zum Einsturz brachte, war Mitte vierzig, hatte deutlich zu viel Gewicht und blutleere Lippen in einem Gesicht aus teigiger Haut, überzogen von einem Netz geplatzter roter Äderchen auf Wangen und Nase.
Vielleicht konnte sie etwas für ihr Aussehen, vielleicht auch nicht, aber das war Lavinia egal. Für den Ausdruck von Abscheu und Überheblichkeit in ihrem Gesicht konnte sie auf jeden Fall etwas. Normalerweise nahm Lavinia so etwas nicht persönlich, aber dieser Tag war nicht normal und sie selbst weit entfernt von ihrer Bestform.
«Mindestens fünfzig Prozent», wiederholte die Dicke und dehnte das blau gestreifte XXL-Shirt zwischen ihren pummeligen Händen. Dadurch wurde ein kleines Loch unter dem rechten Arm sichtbar, das der Dehnung nicht mehr lange standhalten würde. Das Shirt sollte 3,99 Euro kosten.
«Ich kann es Ihnen für drei Euro fünfzig verkaufen», sagte Lavinia gemäß den Regeln, die Frau Kropf für richtig hielt.
«Hör mal, Schätzchen», setzte die Dicke an und plusterte sich auf. «Erst hängst du so’n Schrott auf den Ständer, und dann versuchst du mich auch noch über’n Tisch zu ziehen. So läuft das nicht. Fünfzig Prozent.»
Sie zog das Shirt noch weiter auseinander.
«Vielleicht sollten Sie es lieber wieder zurückhängen», schlug Lavinia vor und behielt ihr gemeißeltes Lächeln bei.
«Vielleicht solltest du besser aufpassen, was du den Leuten für ihr hart verdientes Geld hier anzudrehen versuchst.»
Beinahe jeden Tag kam es im Laden zu solchen Gesprächen. Die Leute wussten sehr wohl, dass die Kassiererinnen nichts für den mangelhaften Zustand der in Bangladesch für ein paar Cent hergestellten Klamotten konnten, aber sie ließen trotzdem ihren Ärger an ihnen aus, weil es so verdammt einfach war, sich jemanden als Blitzableiter auszusuchen, der sich für ein paar Euro Stundenlohn alles gefallen lassen musste.
Zweitausend noch , dachte Lavinia, noch ein Jahr, dann hast du es geschafft. Komm, du hast dir doch schon ganz andere Sachen anhören müssen.
Aber nicht nach einer solchen Nacht und mit diesen Kopfschmerzen, die sie noch immer quälten.
Die Dicke schnaufte laut und blies ihre Wangen auf.
«Was ist? Ist der Kunde hier nicht König, oder was?»
«Wie schon gesagt, ich kann Ihnen das Shirt für drei …»
«Scheiß
Weitere Kostenlose Bücher