Wassermanns Zorn (German Edition)
wie ich, dass wir uns eine Menge Feinde machen. Irgendwann bin ich wohl jemandem zu sehr auf die Füße getreten, und nun kommt die Revanche. Ich werde die Akten der jüngst entlassenen Straftäter durchgehen, und ich bin mir sicher, den Täter dort zu finden.»
Bender fixierte ihn.
«Nehmen Sie Platz», sagte er dann, wies mit einem Nicken auf den Besucherstuhl und ließ sich selbst in seinen Chefsessel fallen.
Eric setzte sich und sah Speicheltropfen wie kleine Pickel auf dem Klavierlack stehen. Bender schob einen Schnellhefter von sich und verwischte sie damit.
«Was ist mit dem Opfer?», fragte er, und die offenkundige Belanglosigkeit in seiner Stimme verriet Eric, dass sie jetzt zu der Frage kamen, die Bender wirklich interessierte.
«Anna Meyer, in ihren Kreisen Annabell genannt. Eine Prostituierte», antwortete er. «Ich kannte sie.»
Das Woher? und Wie gut? musste Bender nicht aussprechen, es schwebte auch so im Raum.
«Werden wir kompromittiert werden?», fragte Bender.
Die dicken Finger seiner rechten Hand tanzten einen Stepptanz auf dem Schreibtisch.
Eric ließ sich mit einer Antwort Zeit. Nicht weil ihm die Worte fehlten, sondern weil er deutlich machen wollte, dass er nicht hier saß, um sich zu rechtfertigen. Er konnte Bender aber auch nicht völlig im Regen stehen lassen. Politik war dem Mann wichtig, wichtiger als alles andere, und das Spiel der Täuschung und Doppelmoral beherrschte er sehr gut, sonst wäre er niemals in diese Position aufgestiegen. Eric selbst hasste es, aber nun hatte er sich darauf eingelassen. Nur wenn er sich mit Bender einig war, würden sie beide mit heiler Haut aus der Sache herauskommen.
«Als Leiter der Mordkommission Ufer hätte ich die Möglichkeiten, das zu verhindern.»
Diesen Satz hatte Eric sich wohl überlegt. Für ein Gespräch dieser Art, an dessen Ende es keinen Verlierer geben durfte, musste man seine Worte gut abwägen. Bis vor zwei Sekunden hatte es noch keine Mordkommission und keinen leitenden Beamten gegeben, und es gab auch nur einen im Raum, der das ändern konnte.
«Bekommen Sie das hin?», fragte Bender.
Seine Wurstfinger lagen still.
«Daran kann kein Zweifel bestehen. Aber ich müsste mir das Team eigenverantwortlich zusammenstellen können.»
«Im Rahmen der Möglichkeiten natürlich.»
«Natürlich.»
«Und Frau Sperling gehört dazu.»
Diese Kröte musste Eric schlucken. Es war einfach nicht möglich, die Sperling plötzlich einer anderen Abteilung zuzuordnen, ohne damit Aufmerksamkeit zu erregen.
Also nickte er.
Ihre Blicke prallten aufeinander, hakten sich ineinander fest, gingen einen widerwilligen Bund ein.
«Ich verlasse mich auf Sie, Stiffler. Bauen Sie keine Scheiße.»
3
Der Betriebshof des Taxiunternehmens lag in einem kleinen Gewerbegebiet an der Westumfahrung der Stadt. Gegen neun Uhr lenkte Frank seinen Škoda auf den großen gepflasterten Platz. Im schrägen Licht der frühen Junisonne glänzten zwei frischgewaschene Taxen vor einem silbernen Doppelcontainer, der als Büro und Zentrale diente.
Barbaras runder Hintern ragte aus der Beifahrertür eines der Taxen. Die Frau seines Bruders war klein und drall, immer gut gelaunt und von nichts und niemandem aus der Ruhe zu bringen. Ohne ihr Organisationstalent wäre das Unternehmen längst pleite. Sie konnte fahren, sich mit einem Fahrgast unterhalten, nebenbei telefonieren und sich fünf Termine merken, ohne sie aufschreiben zu müssen. Mehr Multitasking ging nicht. Frank mochte sie, und er ärgerte sich, wenn er sah, dass sie zwischendurch auch noch die Wagen reinigte, während sein Bruder nur herumfuhr. Helmut hatte ein Arbeitstier geheiratet. Und er nutzte das aus.
Sie hörte ihn nicht kommen. Der große Industriesau- ger neben ihr machte ein Höllenspektakel. Jemand hätte auf den Hof kommen, ins Büro gehen und die Kasse klauen können, ohne dass Barbara etwas mitbekommen hätte.
Weil er sie nicht erschrecken wollte, schaltete Frank den Sauger ab.
Das Heulen des Elektromotors verklang, und Barbara schaute das Handrohr einen Moment stirnrunzelnd an, bevor sie sich rückwärts aus dem Wagen schob.
«Guten Morgen, Teuerste», begrüßte Frank sie.
«Ach, du bist es! Und ich dachte schon, dieses Mistding wäre wieder kaputt.»
Völlig überraschend umarmte sie ihn. Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn, und ihr Kunstfasershirt roch etwas unangenehm.
«Ich bin so froh, dass dir gestern Abend nichts passiert ist», sagte sie, schob ihn ein Stück von sich fort
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