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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Taschen und die Kapuze seiner Jacke über den Kopf gezogen. Für den Bruchteil einer Sekunde hob er den Kopf, und das schmutzige Licht der Straßenlaterne drang unter den Rand der Kapuze. Sie meinte, eine blonde Haarsträhne zu sehen. Dann wandte er sich auch schon wieder ab und verschwand. Lavinia sah ihm kurz hinterher, überquerte dann die Straße und lief schnell zu dem mehrgeschossigen Wohnhaus hinüber, in dem sich ihre gemeinsame Mietwohnung im ersten Obergeschoss befand. Dort angekommen, verriegelte sie die Tür und legte den Laptop auf dem Schuhschrank ab.
Es war dunkel und still in der Wohnung. Schon als sie ihre Hand zum Lichtschalter ausstreckte, spürte Lavinia, dass etwas nicht stimmte. Ihre Sinne waren plötzlich hellwach. Es fühlte sich an, als wäre jemand Fremdes hier gewesen. Jemand mit einer so starken Präsenz, dass sie sie noch spürte, auch wenn die Person längst wieder fort war.
Lavinia schaltete das Licht ein.
«Susan?», rief sie vorsichtig in die stille Wohnung hinein.
Keine Antwort.
Ihr Blick huschte hinüber ins Wohnzimmer. Aus dem kleinen Aquarium floss mattes Licht, und die perlend aufsteigenden Luftblasen des Sauerstoffgerätes warfen geisterhafte Lichtgestalten an die Wand. Gelangweilt zogen die beiden schwarzen Skalare ihre Bahnen. Auf dem Tisch stand Susans Lieblingstasse mit ihrem Namen darauf, Lavinia hatte sie ihr zum letzten Geburtstag geschenkt. Auf einem Teller lagen vier Apfelsinenspalten.
Lavinia schlich den Flur hinunter. An der langen Wand hingen sechs gerahmte Bilder, Fotografien von Taormina aus einem Fotoalbum, das sie im Alter von fünfzehn Jahren angelegt hatte. Es war Susans Idee gewesen, sie hier im Flur aufzuhängen. Lavinia war anfangs dagegen gewesen.
«Das steigert aber die Disziplin», hatte Susan eingewandt.
Eines der Bilder lag am Boden. Das Glas war zerbrochen, die Scherben steckten noch im Rahmen.
Lavinias Herz setzte für einen Schlag aus und kam nur stotternd wieder in Gang. Die letzten Meter bis zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer legte sie wie in Trance zurück.
Das Schlafzimmer war leer, das Bett unbenutzt.
Lavinia fuhr herum und sah nach rechts den Flur hinunter. Er führte in einem rechten Winkel um das Wohnzimmer herum, und das Licht drang nicht bis um die Ecke. Es war dunkel dort.
Sie lauschte.
In der tiefen Stille hörte sie etwas.
Tropfendes Wasser.
Am Ende des Flures befand sich das Badezimmer.
Nahm Susan ein Bad? Hatte sie auf ihr Rufen nicht reagiert, weil sie dabei wie immer die Kopfhörer ihres MP3-Players in den Ohren hatte? Susan war tollpatschig. Vielleicht hatte sie auf dem Weg ins Bad das Bild versehentlich von der Wand gestoßen und sich vorgenommen, die Scherben später wegzuräumen.
Aber Lavinia glaubte selbst nicht, was sie dachte.
Mit zittrigen Knien näherte sie sich der Dunkelheit hinter der Ecke, dann der Badezimmertür, die nur angelehnt war. Auch im Bad war es dunkel.
«Susan?», fragte Lavinia leise. «Bist du da drin?»
Sie streckte die Hand aus und kippte den Schalter außen neben der Tür. Augenblicklich quoll Licht durch den schmalen Türspalt. Selbst wenn Susan im Dunkeln badete, was nicht unwahrscheinlich war, müsste sie spätestens jetzt reagieren. Alles blieb still.
Lavinias Hand schwebte noch in der Luft. Sie wollte schon die Tür aufdrücken, zögerte aber. Plötzlich wollte sie nur noch weg. Sie wollte nicht sehen, was sich hinter der Tür befand.
Trotzdem stieß sie sie auf.
Die Wanne war randvoll gefüllt mit rötlich schimmerndem Wasser.
Darin lag Susan mit dem Gesicht nach unten, eine Hand lag auf dem Wannenrand. Ihre braune Haut hob sich von dem strahlenden Weiß der Emaille ab. Das prächtige schwarze Haar trieb wie das ausgebreitete Gefieder eines Pfaus an der Wasseroberfläche.

37
    Nach der Besprechung war Manuela sofort mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage des Polizeipräsidiums hinabgefahren. Sie wollte nur noch nach Hause, heiß baden, damit die innere Kälte verschwand, und sich in warme Decken hüllen. Sie war so müde und ausgebrannt wie nie zuvor in ihrem Leben und sehnte sich so sehr nach ihrem Bett.
    Doch jetzt saß sie bereits seit einer Viertelstunde reglos in ihrem Wagen und schaffte es nicht, den Motor zu starten. Dreimal hatte sie bereits nach dem Zündschlüssel gegriffen, ihn jedoch nicht herumgedreht. Ihre Hände zitterten, ihr Sichtfeld war auf merkwürdige Weise eingeschränkt. Nichts anderes nahm sie mehr wahr als das Innere des Wagens.
    Manuela wusste, sie hatte einen Schock erlitten,

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