Wassermanns Zorn (German Edition)
die Küche. Dort war es so unordentlich wie überall in der Wohnung. Töpfe und Teller standen auf den Ablagen statt in den Schränken, Gläser mit Kalkflecken belagerten die Spüle. Geschirrtücher, die dringend eine Wäsche gebraucht hätten, baumelten schmutzschwer von Haken an der gefliesten Wand.
«Sag lieber nichts», sagte Frank, der ihren Blick bemerkte. «Ich bin eben nicht auf Besuch vorbereitet.»
«Das stört mich nicht. So sehe ich wenigstens den wahren Frank Engler und nicht einen, der sich für mich verstellt.»
Er nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Viel mehr befand sich nicht darin.
«Ich verstelle mich schon lange nicht mehr. Ich bin, wie ich bin, daran kann ich nichts ändern. Aber sich nicht zu verstellen heißt auch, mit der Einsamkeit klarkommen zu müssen.»
Lavinia wusste genau, was er meinte. Die Einsamkeit hatte ihr in den vergangenen drei Jahren oft genug zugesetzt.
«Aber für dich hätte ich trotzdem aufgeräumt», schob Frank nach, lächelte und reichte ihr die Bierflasche. «Oder möchtest du ein Glas?»
Lavinia schüttelte den Kopf. Sie stießen die Flaschen gegeneinander und prosteten sich zu. Das Klirren klang nach Sicherheit und Geborgenheit, und beides hatte sie schon lange nicht mehr gespürt. Mit Frank in seiner unaufgeräumten Küche zu stehen und Bier zu trinken fühlte sich fast schon vertraut an.
«Ich muss dich warnen», sagte Frank nach dem ersten Schluck. «Alkohol macht mich sehr schnell müde. Kann sein, dass ich gleich wie vom Blitz getroffen einschlafe. Kann aber auch sein, dass ich noch eine Weile durchhalte … Ist schließlich ziemlich aufregend, dich hier zu haben.»
Lavinia lächelte ihn an.
«Normalerweise sind Frauen ja tödlich beleidigt, wenn Männer während eines Gespräches einschlafen, aber bei dir werde ich mal eine Ausnahme machen.»
«Normalerweise lasse ich es auch gar nicht so weit kommen, sondern ziehe mich vorher zurück», sagte Frank, während sie zurück ins Wohnzimmer gingen. «Aber für dich mache ich gern eine Ausnahme. Du musst mir nur versprechen, mich nicht zu filmen und es dann hinterher bei YouTube einzustellen, wenn ich mit offenem Mund und Bierflasche vor dem Bauch vor mich hin sabbere. Ist sicher kein schöner Anblick.»
«Versprochen», sagte Lavinia. «Ich werfe dir einfach eine Decke über den Kopf.»
«Okay, genehmigt. Aber nicht böse sein, wenn es wirklich passiert.»
«Werde ich nicht, aber …»
«Ja?»
«Kann ich dann auf deiner Couch schlafen? Ich würde nur ungern heute Nacht zurück nach Hause gehen.»
«Natürlich. Decken und Kissen sind ausreichend vorhanden. Und wenn ich zu laut schnarchen sollte, dann lass mich einfach hier im Sessel und geh ins Schlafzimmer.»
«Ich kann dich doch nicht im Sessel schlafen lassen.»
Frank klopfte mit der linken Hand auf die Lehne.
«Das gute Stück ist mein bester Freund. Ich schlafe fast jede Nacht darin … Na ja, die paar Stunden, die mir vergönnt sind. Mach dir also keine Sorgen. Für mich ist das normal.»
«Du bist völlig anders als die Männer, die ich bisher kennengelernt habe», sagte Lavinia nachdenklich.
«Tja, ich bin ein Außenseiter.»
«Darin sind wir uns ähnlich.»
Sie sahen sich einen Moment lang schweigend an.
«Und was ist dann passiert?», fragte Frank schließlich.
Lavinia trank einen kräftigen Schluck von ihrem Bier, bevor sie begann.
«Er nannte sich Tom, aber das ist sicher nicht sein richtiger Name.»
35
Sein Name war ein skandinavisches Wort für Wasser, und er klang irgendwie flüssig, fast wie ein Gluckern, das wusste Eric noch. Schon damals hatte er sich den eigentlichen Namen nicht merken können, aber diese Erklärung hatte sich in seinem Kopf festgesetzt wie ein heimtückischer Tumor. Und vielleicht hatte sich dieser Tumor in den letzten Jahren von ihm unbemerkt ausgebreitet, und alles, was jetzt geschah, war nur folgerichtig und konsequent.
Wäre er im Dateiarchiv zehn Jahre zurückgegangen, hätte er den Namen problemlos herausfinden können, doch dieser Aufwand erschien Eric zu groß. Wozu auch? Es änderte nichts.
Vor zehn Jahren hatte er in Unwissenheit einen Gegner herausgefordert, mit dem er nicht fertigwurde. Komisch, wie die Dinge manchmal so liefen. Im Nachhinein betrachtet, sah es sogar so aus, als hätte sich seit jenem Sommertag alles auf den heutigen Tag zubewegt. Oder auf den morgigen, denn zu Ende war es sicher noch nicht.
Es sei denn, er selbst führte noch heute das Ende herbei.
Eric warf
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