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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Wochen zurück, doch beinahe jede Nacht erwachte Lavinia schweißgebadet, weil sie von diesem Kopf über der Wasseroberfläche träumte. Dabei hätte eigentlich Susan die Albträume haben müssen. Dieser Mann, der sich Tom genannt hatte, war doch tatsächlich schwimmen gegangen, Susan hatte derweil in einem sehr knappen Bikini am Ufer gelegen. Nach ein paar Minuten war Tom aber aus dem Wasser gekommen, und Susan hatte gesagt, da habe er ganz anders ausgesehen. Nicht mehr so schüchtern, sondern … irgendwie dämonisch. Er war über Susan hergefallen, aber nicht, um sie zu vergewaltigen, sondern um sie ins Wasser zu zerren. Dort hatte er dann versucht, sie zu ertränken. Er hatte sich unter Wasser an sie geklammert und sie hinuntergezogen. Susan hatte sich nur befreien können, weil sie sich zuvor großzügig mit Sonnencreme eingerieben hatte und deswegen im Wasser ganz glitschig geworden war. Er hatte sie nicht richtig festhalten können.
Lavinia war schlecht geworden vor Angst und Wut. Angst, weil sie beinahe ihre beste und einzige Freundin verloren hatte. Wut, weil es so viele kranke Typen da draußen gab, die meinten, Frauen, vor allem aber Prostituierte, seien Freiwild. Dagegen musste endlich mal etwas unternommen werden.
Susan hatte nach dem Mordversuch einen Bekannten von der Polizei angerufen. Der war tags darauf zu ihnen in die gemeinsame Wohnung gekommen und hatte sich als Eric vorgestellt. Lavinia hatte ihn sofort unsympathisch gefunden und war froh gewesen, dass er den Lohn für seine unbürokratische Hilfe von Susan einforderte und nicht von ihr. Sie hatte die Wohnung verlassen und war in ein Café gegangen, die beiden waren geblieben. In ihrer Wohnung, die doch für den Job tabu war. Aber besondere Umstände verlangten nach besonderen Maßnahmen, wie Susan es ausgedrückt hatte, und auch wenn Lavinia es nicht gut fand, war sie doch froh um den Schutz, den der Bulle ihnen für kostenlosen Sex gewährte.
Jetzt schnappte sich Lavinia die Laptoptasche vom Sessel und brachte ihr Haar in Ordnung. «Okay, dann will ich mal büffeln gehen.»
«So kenne ich mein Mädchen», sagte Susan und drückte ihr einen Abschiedskuss auf.
Lavinia verließ die Wohnung, lief eine Straße weiter und stieg in den nächsten Bus. Er brachte sie ans andere Ende der Stadt zum Institut für Erwachsenenbildung. Dort ackerte sie seit zwei Monaten an einer kaufmännischen Grundausbildung. Susan konnte mit Zahlen nichts anfangen, deshalb musste Lavinia den geschäftlichen Part übernehmen, aber ihr graute vor einer weiteren Unterrichtsstunde bei diesem Dozenten. Noch langweiliger konnte man das Thema nicht vermitteln.
Taormina.
Sooft es ging, wiederholte Lavinia dieses eine Wort in ihrem Kopf, sprach es sogar leise aus, selbst wenn sie sich unter fremden Menschen befand. Es war so etwas wie ihr Mantra geworden. Es klang nach Sehnsucht, Freiheit und Unabhängigkeit. Es verlieh ihr die Kraft, all das hier durchzustehen.
Im Unterricht dauerte es eine Weile, bis sie sich auf den Stoff konzentrieren konnte. Jahresgewinnermittlung. Wenn es nur endlich so weit wäre, dann würde sie mit großer Freude diese Zahlen addieren!
Drei Unterrichtseinheiten und zweieinhalb Stunden später bestieg sie den letzten Bus zurück. Inzwischen war es dunkel geworden. Die Bürgersteige lagen leer im rötlichen Licht der Straßenlaternen. Die Rückfahrt verbrachte sie dösend mit dem Kopf gegen die Scheibe gelehnt. Sie war hundemüde, hatte leichte Kopfschmerzen und wünschte sich in ihr Bett. In den letzten Tagen hatte sie oft darüber nachgedacht, warum ihnen diese Sache passiert war. Vielleicht waren sie einfach an der Reihe gewesen. Oder aber es lag wirklich an ihrem Streben nach mehr Geld. Der Traum stand über allem, und sie gingen vielleicht zu viele Risiken dafür ein. Sie musste unbedingt mit Susan darüber sprechen. Vielleicht sollten sie sich einfach mehr Zeit lassen.
Da um diese Zeit kein Bus mehr in der Nähe ihres Hauses hielt, musste sie zwei Straßen vorher aussteigen. Verabredet war, dass Susan sie an der Bushaltestelle abholte. Aber Susan war nicht da. Lavinia dachte nicht weiter darüber nach. Susan schlief öfter abends vor dem Fernseher ein. Ihre Laptoptasche fest umklammert, lief Lavinia mit schnellem Schritt den Bürgersteig entlang. Nachts war es in dieser Gegend nicht sehr sicher.
Als sie um die Ecke in ihre Straße bog, kam ihr ein Mann entgegen. Sie stießen beinahe zusammen. Er war groß, ging aber gebeugt, hatte die Hände in den

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