Wassermanns Zorn (German Edition)
einfach nach Hause fahren und Stiffler sich selbst überlassen. Egal, wie er sich ihr gegenüber benommen hatte. Aber was sollte sie tun? Ihn anzusprechen, davor hatte Manuela zu große Angst. Immerhin fuchtelte er mit einer Waffe herum und war eindeutig nicht Herr seiner Sinne.
Unschlüssig trat sie von einem Bein aufs andere. Als sie sich schon fast entschieden hatte, ihn per Handy anzurufen, kam Stiffler aus seinem Büro. Er hielt den Mülleimer in der Hand und verschwand damit in den Toilettenräumen. In ihre Richtung sah er dabei nicht.
Erleichtert atmete Manuela aus. Stiffler entfernte sein Erbrochenes. Das würde er nicht tun, wenn er weiterhin vorhätte, sich zu erschießen. Die Gefahr war gebannt. Er hatte sich wieder im Griff.
Sie konnte nach Hause fahren.
38
Lavinia hatte schon oft Männer neben sich einschlafen sehen, aber noch nie so schnell. Eben noch lagen Mitleid und Entsetzen in seinem Blick, und schon nach dem nächsten Lidschlag öffneten sich seine Augen nicht mehr. Er sackte in seinem Sessel zusammen, und die noch nicht einmal zur Hälfte geleerte Bierflasche geriet in bedrohliche Schieflage. Sein Kinn fiel auf die Brust und die Schultern nach vorn. Seine rechte Hand zuckte ein paarmal, dann wurden seine Atemzüge ruhig und gleichmäßig.
Sie stand auf, stellte ihre Bierflasche auf den Tisch, nahm ihm seine ab, griff nach einer Decke und breitete sie über ihm aus. Es widerstrebte ihr, ihn einfach so in dem Sessel sitzen zu lassen, aber er hatte es so gewollt, und sie würde ihn sowieso nicht hochwuchten können.
Sie würde ihn nicht fotografieren, natürlich nicht, aber betrachten wollte sie ihn. Seine Gesichtszüge, in die sich bereits erste Falten um Mund und Augen gegraben hatten, waren ganz entspannt, das dunkelbraune, volle Haar leicht zerzaust, und auf den Wangen verriet ein dunkler Schatten die lange zurückliegende Rasur. Gern hätte sie einen Blick in seine Augen geworfen, denn deren Farbe übte eine geradezu magische Anziehungskraft auf sie aus, doch damit musste sie wohl bis morgen früh warten.
Morgen?
Ein Blick auf die digitale Uhr am Fernseher verriet ihr, dass es bereits halb drei war. Der neue Tag war längst angebrochen, bald würde es hell werden.
Unschlüssig lief Lavinia in der Wohnung auf und ab und trank dabei ihr Bier. Sie war kein bisschen müde, selbst der Alkohol schien nicht zu wirken, außerdem fühlte sie sich nicht wohl bei dem Gedanken, sich in Franks Bett zu legen. Er hatte es mit seiner Einladung dazu sicher ernst gemeint, aber die Situation war einfach zu abstrus.
Also nahm sie eine Wolldecke von der Couch, öffnete leise die Tür zum Balkon, setzte sich in einen Gartenstuhl, legte die Füße auf einen zweiten und wickelte sich in die Decke ein. Mit der Bierflasche in der Hand wartete sie auf den Sonnenaufgang.
Fast war es so, als schaue sie von Taormina aus aufs Meer hinaus, und plötzlich wurde ihr klar, dass sie nicht mehr länger warten durfte. Als sie im Fachmarkt die Kamera gekauft hatte, hatte sie geplant, eine neue Website einzurichten, auf der sie sich vor laufender Kamera für zahlende Kunden ausziehen würde. Das brachte nicht so viel Geld wie Sex, doch zu mehr war sie nicht mehr bereit.
Jetzt aber spürte sie, dass sie selbst das nicht mehr tun wollte.
Und das lag nicht allein an der Warnung durch den Polizisten vor ihrer Haustür.
Als sie begonnen hatte, ihren Körper für Geld zu verkaufen, hatte sie sich dabei immer eingeredet, es sei nur eine Dienstleistung. Sex gegen Geld. Nicht mehr und nicht weniger. In Wirklichkeit war es aber ganz anders.
In Wirklichkeit bot sie allen Männern, die es wollten, die Möglichkeit, ihren Trieb jederzeit und überall auszuleben. Sie bewies ihnen, dass es nicht nötig war, sich zurückzuhalten, denn es gab ja genug Frauen wie sie, auf die Männer zugreifen konnten, wann immer es ihnen passte.
Und sich vor der Webcam auszuziehen würde diesen männlichen Anspruch, ein Recht auf Sex zu haben, nur unterstützen.
Das würde sie niemals wieder zulassen. Niemand hatte ein Recht auf Sex, auf eine Frau, die ihm zu Willen war.
Sobald die Sonne aufgegangen war, würde sie duschen, für Frank und sich ein Frühstück zubereiten, sich von ihm verabschieden und danach zur Bank gehen.
Sie würde keine Zeit mehr verlieren und es jetzt endlich anpacken.
39
Während des Tanzes waren seine Muskeln wie die straffgespannten Saiten einer Violine, und die Melodie, die er darauf gespielt hatte, hatte ihn in Ekstase
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