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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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einen Blick zur Wanduhr. Die Zeiger rückten auf Mitternacht zu. Wenn es heute noch sein sollte, musste er sich beeilen.
    Die anderen waren schon vor einer halben Stunde gegangen. In dieser stillen Zeitlosigkeit hatte Eric nichts anderes getan, als seine Waffe anzustarren. Er hatte sich jede Kontur eingeprägt, war mit den Augen den Linien und Kanten gefolgt, hatte sie herumgedreht und auch die andere Seite betrachtet. Jetzt nahm er sie auseinander und setzte sie wieder zusammen. Verschluss und Lauf waren gut geölt, alles glitt präzise ineinander. Auch wenn er damit noch nie auf einen Menschen geschossen hatte, ging er trotzdem einmal im Monat zum Schießtraining und pflegte die Waffe vorschriftsmäßig.
    Er schob das Magazin ein, nahm die Waffe in die rechte Hand und umfasste den Griff. Spürte die geriffelte Oberfläche des Kunststoffes und die beruhigende Schwere des Metalls. Dieses Gerät hatte die Macht, alles zu beenden. Er musste nur eine Entscheidung treffen.
    Sie badet, Stiffler … sie badet …
    Der Wassermann hatte ihn kalt erwischt. Nicht für eine Sekunde hatte Eric daran gedacht, dass der Typ es auf Kathi abgesehen haben könnte. Warum auch? Sie hatte mit der Geschichte überhaupt nichts zu tun. Natürlich konnte der Wassermann wissen, dass er verheiratet gewesen war, denn er hatte ja lange vor der Scheidung zum ersten Mal Kontakt zu ihm gehabt. Aber hatte dieser Verrückte ihn wirklich so lange beobachtet? Damals war er doch fast noch ein Kind gewesen. Eric konnte sich noch gut an seinen Widerwillen und an die Wut erinnern, die er für den Jungen empfunden hatte. Damals auf dem Waldweg, da hätte er beinahe die Kontrolle verloren. Missbrauchsfälle riefen noch heute diese Reaktion in ihm hervor. Er konnte das nicht abstellen. Es war ein Vermächtnis seiner gescheiterten Ehe.
    Sein Blick flog erneut zur Uhr.
    Zwei Minuten bis Mitternacht.
    Hundertzwanzig Sekunden bis zum neuen Tag.
    Ein Tag wie ein Albtraum. Und schon am frühen Morgen würde es mit vollem Tempo so weitergehen. Dann würden die ersten Ergebnisse der Spurentechniker vorliegen, Kathis Leiche würde obduziert werden, es musste geklärt werden, wann und unter welchen Umständen sie dem Täter in die Hände gefallen war. Die Sperling würde in den alten Fällen herumwühlen, das konnte er jetzt nicht mehr verhindern, und sie würde einen Namen ausgraben, der ihm endgültig zum Verhängnis werden würde. Nichts davon konnte Eric noch verhindern. Die Dinge waren ihm entglitten. Das Einzige, was er noch fest in der Hand hielt, war seine Waffe.
    Sie badet, Stiffler … sie badet …
    Eric drehte den kurzen Lauf in seine Richtung und starrte in das kreisrunde, schwarze Loch. Ein wenig Licht fiel hinein, sodass er Felder und Züge erkennen konnte.
    Er öffnete den Mund und steckte sich den Lauf zwischen die Zähne. Das kalte Metall schmeckte ölig und fühlte sich fremd und bedrohlich an.
    Er legte den Zeigefinger an den Abzug.
    Die nächste kleine Bewegung würde ihm alles Weitere ersparen. Den Ärger, die Schmach, die Peinlichkeiten, die Blicke – vor allem die Blicke der Sperling. Eric hatte nicht mehr die Kraft, das durchzustehen.
    Eine kleine Bewegung.
    Nur den Finger krümmen.
    Den Lauf schräg nach oben ausrichten, gegen den Gaumen, damit das Projektil nicht durch den Kiefer den Schädel verließ, sondern durchs Hirn. Selbst wenn er das überleben sollte, würde er danach nicht mehr Eric Stiffler sein.
    Die Sehnen in seinem Zeigefinger spannten sich, er spürte den Druckpunkt.
    Wir alle baden hier, Stiffler …

36
«Bullshit, du schaffst das schon», sagte Susan, ohne aufzusehen. Sie saß mit untergeschlagenen Beinen auf der Couch, vor ihr auf dem Tisch lag ihr Schmuck ausgebreitet. Sie hatte vor, ein paar der wertvolleren Stücke zu verkaufen, damit sie schneller ihr Ziel erreichten, konnte sich aber kaum davon trennen.
«Ich hab Angst», sagte Lavinia, denn das war es, was sie wirklich bedrückte, nicht die Befürchtung, die Buchführung nicht zu verstehen.
Jetzt sah Susan sie doch an, stand auf, kam zu ihr herüber und legte ihre Hände an Lavinias Wangen, so wie Mütter es bei ihren Töchtern taten. «Das brauchst du nicht. Ich habe mich darum gekümmert. Es wird nichts mehr passieren.»
Lavinia nickte. Sie wollte tapfer sein, spürte aber, wie sich ihr Bauch vor Angst schmerzhaft verkrampfte. Seit Susan und sie dem Irren am See gerade noch so entkommen waren, traute sie sich abends kaum noch aus dem Haus.
Das lag jetzt zwei

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