Wassermanns Zorn (German Edition)
Gewitter einherging, aber ändern. Deshalb war Eile geboten.
Gestern hatten sie festgestellt, dass der Täter mit seinem Opfer aus dieser Richtung zum See gekommen sein musste. Es gab zahlreiche Trittspuren in dem weichen Untergrund, und einige davon waren sehr tief. Gut möglich, dass sie von einer sehr schweren Person stammten oder aber von einer Person, die jemanden getragen hatte. Sie hatten am Ufer eine Stelle gefunden, an der das Opfer höchstwahrscheinlich abgeworfen worden war. Die Bodenanalyse im Labor lief noch und würde vor Morgen keine Ergebnisse liefern, aber die beiden erfahrenen Beamten trauten ihren Augen und ihrem Spürsinn ebenso wie den Labortechnikern, die noch kleinste Hautschüppchen an einem Sandkorn finden konnten.
«Weißt du, was ich nicht verstehe?», fing der große, kräftige Hauke Schröder an, nachdem er den Motor des weißen Multi-Van abgestellt hatte.
«So einiges», antwortete Torsten Berg. Er war zwei Köpfe kleiner als sein Kollege und eher rundlich.
«Nee, jetzt mal Spaß beiseite. Da war ein bewaffneter KHK vor Ort und dazu eine frischgebackene Kommissarin, aber beide konnten der Frau nicht helfen. Und als Krönung lassen die den Täter auch noch entkommen. Ist doch unfassbar.»
«Wenn es sich bei dem bewaffneten KHK um Eric Stiffler handelt, ist das gar nicht so unfassbar», bemerkte sein Kollege lakonisch.
«Da hast du auch wieder recht.»
«Den Kerl hast du echt gefressen, was?»
«Ich kann dir gar nicht sagen, wie. Ich kann ihn nicht ausstehen und traue ihm keinen Meter über den Weg. Wie oft hat der jetzt schon Bockmist gebaut, und keinen interessiert’s. Wie lange soll das noch so weitergehen?», sagte Schröder, der sich jetzt in Rage geredet hatte.
«Ist ja nicht unsere Sache. Was regst du dich so auf?»
«Doch, ist es. Weil wir die Suppe jetzt auslöffeln dürfen! Mal ehrlich: Der See ist ein Loch. Von der Landzunge aus hätte Stiffler ganz allein das komplette Ufer einsehen können. Der hätte doch nur warten müssen, bis der Täter irgendwo aus dem Wasser steigt. Ich meine, wie lange kann ein Mensch ohne Hilfsmittel schon unter Wasser bleiben?»
«Länger als zehn Minuten», sagte Berg.
«Wie bitte?»
Beide stiegen aus und trafen sich an der Seitentür wieder.
«Von Apnoe-Tauchen hast du nie gehört, oder?»
«Nee, aber du klärst mich bestimmt gleich auf, du wandelndes Lexikon.»
«Kannst du haben», sagte Berg. «Tom Sietas hält den Weltrekord im Tauchen auf Zeit. Wenn er völlig reglos im Wasser liegt, schafft er es, etwas mehr als zehn Minuten mit der Atemluft auszukommen, die er in der Lunge hat.»
«Respekt. Aber der Täter wird wohl kaum reglos irgendwo rumgelegen haben.»
«Wahrscheinlich nicht. Aber selbst wenn er unter Wasser schwimmt, schafft Sietas noch länger als vier Minuten.»
«Woher weißt du das?»
Berg zuckte mit den Schultern.
«Apnoe-Tauchen hat mich schon immer fasziniert. Kennst du dieses Video bei YouTube? Von diesem Franzosen namens Nery, der in Dean’s Blue Hole springt. Ist weltbekannt.»
«Ich kenne weder das Video noch Nery noch Dean’s Blue Hole .»
«Solltest du dir mal anschauen, ist wirklich faszinierend. Dean’s Blue Hole ist ein 202 Meter tiefes Loch im Meeresboden vor den Bahamas. Dieser Nery ist einer der weltbesten Apnoe-Taucher. Er ist da reingesprungen und bis zum Grund getaucht. Mehr als vier Minuten und über 200 Meter. Das ist schon beeindruckend.»
«Und damit ist er nur einer der Besten?»
«Ja. Den Rekord hält der Österreicher Herbert Nitsch mit 214 Metern.»
«Mann, ich schaffe nicht einmal eine halbe Minute.»
«Deine Lunge besteht ja auch nur noch aus Asphalt. Wolltest du nicht eigentlich mit der Qualmerei aufhören?», fragte Torsten Berg.
«Lass mich doch in Ruhe», sagte Schröder unwirsch und öffnete die Schiebetür des Transporters.
Darin lag ihre Ausrüstung.
Sie hatten vor, sich heute, bei Tageslicht, noch einmal intensiv um den Boden zu kümmern. Vielleicht ließ sich ja doch noch ein Schuhabdruck finden. Das Profil getragener Schuhe war beinahe so aussagekräftig wie ein Fingerprint. Jeder Mensch lief seine Schuhe individuell ab, sodass ein einzigartiges Muster entstand. Kleine Beschädigungen wie Risse oder Löcher machten das Bild eindeutig. Und der Lehmboden um den See war für solche Abdrücke geradezu prädestiniert. Lehm behielt eine einmal eingepresste Form sehr lange bei.
Hauke Schröder nahm einen der schweren Alukoffer aus dem Wagen und stellte ihn ab.
«Mag ja
Weitere Kostenlose Bücher